Der Mediziner und Moderator Eckart von Hirschhausen traut sich in einer neuen ARD-Reportagereihe an ein heikles Thema: das Sterben. „Hirschhausen im Hospiz“ ist facettenreich und weitgehend gut gemacht. Doch die Doku hat ein gravierendes Manko.

Stuttgart - Der Tod, heißt es gern, sei aus der Mitte der Gesellschaft verdrängt worden: weil er in unserem auf Selbstoptimierung und lebenslanger Jugendlichkeit fixierten Alltag keinen Platz mehr hat; außerdem wird niemand gern an die eigene Endlichkeit erinnert. Tatsächlich ist es jedoch vor allem das Sterben, mit dem sich die meisten Menschen nicht befassen wollen. Eckart von Hirschhausen hat daher zwei Tage in einem Bochumer Hospiz verbracht, um herauszufinden: Wie ist das eigentlich, wenn man nur noch kurze Zeit zu leben hat? Und muss man wirklich Angst vor dem Sterben haben?

 

Der Arzt hat eine angenehme Art, auf Menschen zuzugehen. Es gelingt ihm im Nu, das Eis zu brechen, ohne dabei in Moderationsroutine zu verfallen. Das ist in diesem Zusammenhang natürlich besonders wichtig; wenn er Sterbende berührt oder Angehörige tröstet, scheinen die Gesten und Umarmungen tatsächlich von Herzen zu kommen. Weil Hirschhausen eher Hospitant als Reporter ist und auch in die alltäglichen Verrichtungen eingebunden ist, vermittelt er einen sehr direkten Eindruck von der ganz besonderen Atmosphäre, die in solchen Einrichtungen herrscht. Anders als im Krankenhaus sind die Menschen hier nicht Patienten, sondern Gäste.

Zwei Reporter besuchen einen Bestatter

Als Mediziner muss der Moderator umdenken; schließlich hat er gelernt, den Tod als Feind zu betrachten, den es abzuwehren gilt. Dank seiner empathischen Art hat sein Besuch keinerlei Ähnlichkeit mit jenen Reportagen, in denen sich irgendwelche Fernsehmenschen vorübergehend unter Obdachlose mischen und anschließend in ihr saturiertes Leben zurückkehren. Neben den Eindrücken aus dem Hospiz bietet die im Auftrag des WDR entstandene Dokumentation „Hirschhausen im Hospiz“ (ARD, 16. September, 20.15 Uhr) zwei weitere Handlungsebenen. Zu Hirschhausens Team gehören noch Lisa Weitemeier und Nikolaus Wirth, die Passanten auf unterschiedlichste Weise mit dem Themenkomplex Sterben konfrontieren. Mal fordern die Reporter die Menschen auf, sich in einen Sarg zu legen, mal sorgen sie dafür, dass ein Palliativmediziner über die „letzte Hilfe“ informiert. Gegen Ende besuchen sie einen Bestatter und schlüpfen in die Rolle von Angehörigen, die sich von einem verstorbenen Familienmitglied verabschieden.

Ein weiteres durchgehendes Element von „Hirschhausen im Hospiz“ sind Einschübe mit Statistiken etwa über die häufigsten Todesursachen. Dank dieser Exkurse, die nicht zuletzt der dramaturgischen Auflockerung dienen, imponiert die Sendung auch durch ihren Facettenreichtum. Das Reporterduo Lisa und Niko wirkt authentisch – angesichts des Toten beim Bestattungspraktikum fühlen sie sich zunächst sichtlich unbehaglich. Auch bei den Intermezzi mit Daten und Fakten hat der Autor Krischan Dietmaier Mittel und Wege gefunden, das Zahlenmaterial nicht in Form der üblichen Grafiken zu präsentieren.

Seltsame Auswahl an Popsongs

Der gute Gesamteindruck wird allerdings empfindlich durch das musikalische Malen nach Zahlen gestört. Bestes Beispiel: Wenn der Palliativmediziner nach dem Arm eines „Patienten“ greift, um einen Akupressurpunkt zu zeigen, erklingt die Textzeile „Gib mir die Hand“ aus Nenas Evergreen „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Im dritten Programm des WDR gibt es abgesehen von den Nachrichten mittlerweile kaum noch journalistische Formate, in denen nicht permanent Popsongs gedudelt werden. Meist werden die Lieder eingesetzt, um akustische Leerstellen zu füllen; außerdem sollen sie für gute Stimmung sorgen. Bei der Hospizsendung ist natürlich ein anderer Effekt erwünscht, weshalb vor allem Betroffenheitslieder erklingen.

Einige passen textlich perfekt, allen voran das einst von Bob Dylan komponierte „It’s all over now, Baby Blue“ mit der Anfangszeile „You must leave now“ (Du musst jetzt gehen) oder „The End“ von den Doors. Warum jedoch „Wild Thing“ erklingt, wenn Weitemeier und Wirth zum Probeliegen im Sarg einladen, oder warum der Statistikeinschub über die durchschnittliche Lebenserwartung der Deutschen mit Lou Reeds „Walk on the wild Side“ unterlegt wird, bleibt ein Rätsel.

Die Bebilderungen sind ebenfalls nicht immer schlüssig: Die Zahlen zur durchschnittlichen Lebenserwartung werden mit Aufnahmen von Menschen auf einer Kirmes illustriert. Gut war dagegen die Idee, Hirschhausens Stippvisite mit  zwei Kameras zu filmen. Auf diese Weise gab es nicht nur zusätzliches Schnittmaterial; die Maßnahme hat ihn vor allem vor der Peinlichkeit bewahrt, im Anschluss an ein Gespräch noch mal für die Gegenschnitte posieren zu müssen. In der zweiten Folge (23. September) der neuen Reihe geht Hirschhausen für zwei Tage ins Gefängnis.