Das Darknet ist vielfach in Verruf. Tummeln sich dort vor allem Kriminelle auf der Suche nach Waffen und Drogen? Andere rühmen das unkontrollierte Netz wegen seiner Möglichkeiten für Politaktivisten in Diktaturen. Eine ARD-Doku forscht nun, wo die Wahrheit liegt.

Stuttgart - Im Sommer vergangenen Jahres verübte ein Teenager einen Massenmord in einem Münchener Einkaufszentrum. Kurz darauf kam heraus, dass er für das Massaker eine Waffe verwendete, die er im Darknet gekauft hatte. Seitdem ist dieser Fachbegriff auch jenen Menschen bekannt, die an Themen rund ums Internet eigentlich wenig interessiert sind.

 

Das Darknet gilt der breiten Öffentlichkeit vor allem als Ort, an dem sich ungestört illegale Geschäfte abwickeln lassen. Das sei aber „nur eine Seite der Medaille“, sagt Annette Dittert, die mit ihrem Kollegen Daniel Moßbrucker die an diesem Montag in der ARD zu sehende Dokumentation „Das Darknet“ gedreht hat. Der häufig negativ besetzte Begriff stehe auch für die Möglichkeit, anonym im Internet zu surfen. „Das wird für Journalisten und Menschenrechtler in den kommenden Jahren immer wichtiger werden“, sagt Dittert, die früher als Korrespondentin der ARD in New York und London tätig war.

Das Darknet ist grundsätzlich erst einmal attraktiv für jeden, der nicht permanent Spuren im Netz hinterlassen möchte. Man muss sich lediglich den Browser Tor herunterladen – der am weitesten verbreitete Weg in die vermeintliche Unterwelt des Netzes. „Der schwierigste Teil der Arbeit war es, Leute zu finden, die bereit sind, sich mit uns zu treffen“, sagt Dittert. Der Grund: Wer im Darknet Illegales treibt, hat Angst, von verdeckten Ermittlern erwischt zu werden.

Drogenkauf im Darknet ist so bequem wie Bücherkauf bei Amazon

Dittert und Moßbrucker trafen unter anderem einen Waffenhändler, der sich ein Zusatzgeschäft zu seinem Bürojob erhoffte, aufgrund unvorsichtigen Handelns nun aber „viereinhalb Jahre hinter Gitter muss, wenn ein Platz frei wird im Berliner Strafvollzug“, wie es im Film heißt. Ein Drogendealer, mit dem Dittert sich unter einem Strommast irgendwo im Ruhrgebiet unterhält, ist Vater zweier Kinder. Er arbeitet in der Callcenter-Branche, seine Familie wisse „nichts von seiner Darknetexistenz“, sagt Dittert. Von „ganz normalem Versandhandel“ spricht der mit einem Schal vermummte Mann. Das mag auf den ersten Blick irritieren, deckt sich aber mit den Einschätzungen des von Dittert interviewten Experten und Buchautors Jamie Bartlett. Die Händler, die im Darknet Drogen verkauften, agierten dort so „konsumentenfreundlich“ wie Amazon und Ebay, sagt er.

Im zweiten Teil des Films beschäftigen sich Dittert und Moßbrucker mit der politischen Relevanz und Brisanz des Darknets. Sie sprechen mit einem marokkanischen Arzt, der Seminare dazu hält, wie man im Netz verschlüsselt surft – und dem deshalb nun in seinem Heimatland 15 Jahre Gefängnis drohen. Er lebt inzwischen in einer kleinen Erdgeschosswohnung an einem geheimen Ort in Europa.

Menschenrechtskämpfer nutzen das Darknet als Freiraum

Der größte Coup gelang den Autoren, als sie einen früheren Telekommunikations-Aufklärer des syrischen Geheimdienstes, der sich derzeit in einem Zeugenschutzprogramm befindet, davon überzeugen konnten, an dem Film mitzuwirken. Damit er nicht zu erkennen ist, spricht ein Schauspieler seine Stimme nach. Wer versucht habe, die digitale Überwachung zu umgehen und ins Darknet zu gelangen, sei als Hochverräter behandelt worden, sagt er. Man habe sie auf „physische Art verhört“. Dass einige Syrer ihren Drang nach digitaler Freiheit nicht überlebt haben, daran lässt der Ex-Agent keinen Zweifel.

Das Darknet sei gefährlicher als dasClear Web, also das allgemein öffentliche Netz, sagt ein oppositioneller chinesischer Student. In der Unterwelt des Webs sei die Gefahr besonders groß, an einen Geheimdienstmann zu geraten, der dort getarnt unterwegs ist. Er selbst gehe das Risiko trotzdem ein, weil er sich seine Informationsfreiheit nicht nehmen lassen wolle.

Dittert und Moßbrucker widerstehen der Gefahr, allzu tief in technische Details einzusteigen. Sie konzentrieren sich darauf, teilweise dramatische Geschichten rund um Personen zu erzählen, die mit dem Darknet zu tun haben. Ihre wichtigste Botschaft sei es, dass es möglich ist, der Überwachung im Netz zu entkommen, sagt Dittert. Das gilt freilich nicht überall: Just im Dezember hat die türkische Regierung den Zugang zum Tor-Netzwerk blockiert.

ARD, 9. Januar 2017, 22:45 Uhr