Viele Berichte gab es schon über das „Nazi-Dorf“ Jamel, in dem das Künstlerehepaar Lohmeyer mit dem Festival „Jamel rockt den Förster“ mutig ein Zeichen gegen Rechts setzt. Eine ARD-Doku zeigt nun, wie schwer der Kampf um Toleranz ist.

Mohnblüten, die sich sanft auf dem Feld im Wind wiegen, Baumalleen und kleine Seen: die Landschaft in Mecklenburg-Vorpommern, in der Birgit und Horst Lohmeyer leben, könnte kaum idyllischer sein. Vor 25 Jahren zogen sie in das ehemalige Forsthaus am Waldrand in Jamel. „Wir haben aber mit Jamel tief, tief, tief in die Scheiße gegriffen, was Nachbarschaft angeht“, bringt es Birgit Lohmeyer zu Beginn der ARD-Dokumentation „Jamel – lauter Widerstand“ auf den Punkt.

 

Denn in vielen Vorgärten ihrer Nachbarschaft weht ganz selbstverständlich die Reichsflagge, ein Wegweiser zeigt in Richtung von Adolf Hitlers Geburtsort. Nur 38 Einwohner zählt Jamel und doch ist der Ort deutschlandweit bekannt. Zum einen als „Nazi-Dorf“, in dem ein Neonazi nach und nach Häuser aufkaufte, um Gleichgesinnte in die Nachbarschaft zu holen. Zum anderen ist Jamel aber auch für das Festival „Jamel rockt den Förster“ bekannt, bei dem Tausende Jahr für Jahr die Vielfalt feiern und sich für die Demokratie einsetzen. Ein Festival, das Bela B. von den Ärzten als das „vielleicht wichtigste Festival in Deutschland“ bezeichnet.

Zu „Jamel rockt den Förster“ kommen inzwischen 3500 Besucher

Das Festival konnte auch 2024 trotz aller Widerstände stattfinden. Foto: BR/Andreas Hornoff

Im Jahr 2007 gründen die Lohmeyers das Musikfestival „Jamel rockt den Förster“ auf ihrem Gelände. Damals noch als ein kleines Fest für Freunde und Bekannte geplant, um sich eine Insel inmitten der Feindseligkeit zu schaffen, die ihnen aus der Nachbarschaft entgegenschlägt. Doch 2015 spitzt sich die Lage zu: die Scheune der Lohmeyers nahe ihres Hauses brennt lichterloh. Die Polizei geht von Brandstiftung aus, ein Täter kann nicht ermittelt werden.

Als die Geschichte der Lohmeyers durch die Medien geht, werden die Toten Hosen darauf aufmerksam und laden sich kurzerhand selbst ein, bei dem Festival aufzutreten. „Ich würde das nicht schaffen“, gibt Tote-Hosen-Frontmann Campino im Interview zu und drückt seine Anerkennung für die Lohmeyers aus. „Wir brauchen Leute, die diese Courage haben“, betont er. Deshalb sei er mit seiner Band gekommen, um ein Zeichen zu setzen. Mit großem Erfolg – denn seither treten Jahr für Jahr namhafte Künstler wie Herbert Grönemeyer, Die Ärzte oder Beatsteaks auf und spielen vor mehr als 3000 Besucherinnen und Besuchern.

Stars wie Herbert Grönemeyer oder die Beatsteaks kommen zum Festival

Auf der Treppe der Lohmeyers nehmen nicht nur die Fantastischen Vier Platz. Foto: SWR Presse/Bildkommunikation/Andreas Hornoff

Seit 2015 begleitet Autor und Filmemacher Martin Groß das Ehepaar Lohmeyer und ihr Festival mit der Kamera. Zahlreiche Berichte hat es seitdem schon in den Medien gegeben. Doch die Dokumentation zeigt auf besonders bedrückende und gleichzeitig berührende Weise den Weg der beiden, die sich in einer beeindruckenden Entschlossenheit gegen den Wahnsinn in ihrem Dorf stellen.

„Aufgeben oder wegziehen kam für uns nie in Frage“, sagt Birgit Lohmeyer bestimmt. Doch die Verzweiflung ist ihr manches Mal ins Gesicht geschrieben, wenn sie gegen alle Widerstände dafür kämpfen muss, dass das Festival auch im nächsten Jahr wieder stattfinden kann.

Auch Smudo von den Fantastischen Vier will den Lohmeyers beistehen

Das Unbehagen wird greifbar, immer dann, wenn die Kamera den Weg ins Dorf begleitet. Da ist Humberto Pereira, der seit ein paar Jahren das Festival organisiert. „Es schnürt sich einem ein bisschen immer der Hals zu“, sagt er, während er an Feldern vorbei fährt. Auch Smudo von den Fantastischen Vier blickt unbehaglich aus dem Autofenster, als er sich dem Dorf nähert: „Ich kann mir nicht vorstellen hier zu leben. Ich wäre schon lange abgehauen“, spricht er aus, was wohl die meisten denken.

Die Stimmung dort wird auch greifbar, wenn beispielsweise der Wortführer des Dorfes mehrfach das Interview mit einem Historiker stört, indem er im Hintergrund provokant mit einem Quad hin und her fährt.

Doch in der Dokumentation wird auch deutlich, dass die Lohmeyers ihre Kraft wohl vor allem aus den zwei Tagen im Jahr ziehen, an denen es in ihrem Dorf so bunt, laut und meinungsstark zugeht. Der Zuspruch, den sie dann von den Fans des Festivals und von den Stars der Musikszene bekommen, lässt sie weitermachen.

Immer wieder zeigt die Dokumentation den Kontrast auf zwischen den bunten Bildern des Festivals und den Berichten von Razzien, die in dem Dorf illegale Waffen, Munition und Sprengstoff zu Tage förderten. Sie spannt aber auch einen größeren Bogen und macht deutlich: Jamel ist kein Einzelfall.

Infos zum Festival

„Jamel rockt den Förster“
Im Dokumentarfilm „Jamel – Lauter Widerstand“ zeigt Regisseur Martin Groß, wie das Ehepaar Lohmeyer gemeinsam mit der deutschen Musikszene mit dem Musikfestival „Jamel rockt den Förster“ ein Zeichen für Demokratie und Toleranz setzt. Zu den Künstlerinnen und Künstlern, die in Jamel aufgetreten sind, gehörten Herbert Grönemeyer, Antilopen Gang, Casper, Juli, Marteria, Samy Deluxe, Sportfreunde Stiller und viele mehr. Die 17. Auflage des Festivals in diesem Jahr war innerhalb weniger Stunden ausverkauft, obwohl das Line-Up vorher immer unbekannt ist. Dieses Jahr überraschten Element of Crime, Olli Schulz, Ebow, Wallis Bird, Querbeat, Heaven Shall Burn und Die Fantastischen Vier das Publikum.

„Jamel – lauter Widerstand“:
Der Dokumentarfilm läuft in der ARD-Mediathek.