Die ARD durchstöbert das in Bonn befindliche Archiv der SPD, die demnächst 150 Jahre alt wird. Die Gretchenfrage dabei lautet: „Wie weit links?“ Die Dokumentation wird am Montag um 23.30 Uhr ausgestrahlt.

Stuttgart - „Hier haben wir die Schröder-Kiste.“ Anja Kruke vom „Archiv der sozialen Demokratie“ holt einen Papp-Karton aus dem Regal, darin befinden sich einige Wahlkampf-Utensilien. Das wirkt ein bisschen lieblos, als wäre Gerhard Schröder nicht der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler, sondern der Bürgermeister von, sagen wir, Bielefeld gewesen. Es scheint, als reiche die Abneigung gegen Schröders Agenda-Politik bis in den Keller der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Willy Brandt dagegen hat hier ein eigenes Archiv. Von Herbert Wehner gibt es immerhin eine üppige Sammlung von vierzig Aktentaschen. Und im Tresor wird, natürlich, die Taschenuhr von August Bebel aufbewahrt, die seit dessen Tod 1913 stets in den Besitz seiner Nachfolger als SPD-Vorsitzender übergeht – das Symbol historischer Kontinuität einer stolzen Partei.

 

Am 23. Mai vor 150 Jahren wurde in Leipzig der SPD-Vorläufer „Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein“ gegründet. Markus Frenzel und Jörg Wildermuth stellen mit ihrer 45-minütigen Dokumentation im Ersten eine der Gretchenfragen der Genossen, wenn auch im Titel sprachlich ungeschliffen und unvollständig: „Wie weit links?“ Als roter Faden dient ihnen das Stöbern im Bonner Partei-Archiv, was keine schlechte Idee ist, aber bisweilen etwas schwerblütig daherkommt. Von „endlosen unterirdischen Gängen“ wird da geraunt – und wieso sind Totenmasken etwas „Unheimliches“? Immerhin hat die SPD offenbar keine Leichen im Keller.

Lob aus unerwartetem Mund

Zwischendurch absolviert die Doku im Schweinsgalopp 150 Jahre Geschichte, von Bebel über Rosa Luxemburg, Friedrich Ebert, Otto Grotewohl, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Regine Hildebrandt bis hin zu jenem Schröder eben, dem der ehemalige DGB-Chef Michael Sommer bescheinigt, er habe mit der Agenda 2010 einen der größten Fehler in der Sozialpolitik „historisch zu verantworten“. Die Autoren beweisen Mut zur Lücke, denn allein die Biografie Herbert Wehners hätte ja das Zeug dazu, mehr als vierzig Aktentaschen zu füllen.

Sympathisch allerdings, dass kein Genosse und auch kein aktiver Politiker einer anderen Partei befragt wurde, dafür hat die ARD ja auch die zahlreichen Talkshows. Die konservative Perspektive decken der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der Springer-Chef Mathias Döpfner ab, der insofern überrascht, als er über Rosa Luxemburg recht positiv urteilt, aber Kanzler Schmidt einen „Mangel an Visionen und Empathie“ bescheinigt. Der ewige Kommunarde Rainer Langhans darf sich ebenso über eine Einladung als Experte zur SPD-Geschichte freuen wie die Ex-Bischöfin Maria Jepsen, die hier etwas flapsig als „Kirchenfrau“ vorgestellt wird. Neben dem Gewerkschafter Sommer und der Bürgerrechtlerin Marianne Birthler besetzt der Schriftsteller Günter Grass die links-intellektuelle Flanke. Der Literatur-Nobelpreisträger wirft der SPD vor, sie habe die 1919 ermordete Rosa Luxemburg „und damit auch den Begriff des demokratischen Sozialismus der Linken überlassen“.

Und wer noch mal darf sie jetzt tragen, August Bebels Taschenuhr? Tja, Sigmar Gabriel wird nicht einmal erwähnt. Aber bestimmt gibt es in Bonn irgendwann auch mal die „Gabriel-Kiste“.