„Fremder Feind“ ist ein leises Drama mit starken Bildern. Ulrich Matthes brilliert darin als Eremit in den winterlichen Alpen. Warum lässt sich der Pazifist dort auf einen Krieg mit einem Unbekannten ein?

Stuttgart - Man könnte diesen Film einen Thriller nennen, schließlich geht es um Leben und Tod, und das auf gleich zwei Ebenen. Tatsächlich birgt der Roman, auf dem er basiert, mit seiner knappen und lakonischen Erzählweise viele Elemente, die eine hochspannende Umsetzung geradezu erwarten lassen. Die Rahmenhandlung klingt ohnehin ausgesprochen archaisch: Ein Mann lebt zurückgezogen in der winterlichen Einsamkeit der Berge und sieht sich unerwartet mit einem Gegner konfrontiert, der ihn völlig grundlos terrorisiert. Erst wird seine Hütte verwüstet, dann wird sein Hund von einem Geschoss getroffen. Der Mann revanchiert sich, indem er zunächst das Zelt abfackelt, in dem sein Kontrahent offenbar lebt, und dann die Hütte, in die dieser anschließend umgezogen ist. Schließlich kommt es zum letzten Gefecht.

 

Diese Geschichte erzählt der Fernsehfilm „Fremder Feind“ (ARD, 21. Februar, 20.15 Uhr) auch; aber nicht als Thriller. Der Einsiedler Arnold (Ulrich Matthes) tut das, was er seiner Meinung nach tun muss, aber er empfindet keine sichtbare Freude dabei; eigentlich will er nur seine Ruhe. Auf die Frage des Dorfpolizisten, was ihn in die Berge verschlagen habe, sagt er: „Das Leben an sich.“ In Rückblenden, deren warme Frühlingsfarben einen heftigen Kontrast zur tief verschneiten Winterlandschaft darstellen, erklärt der Film, warum Arnold zum Einsiedler geworden ist und weshalb er sich nun auf eine Spirale der Gewalt einlässt.

Auf diese Weise vollzieht sich gewissermaßen ein zweifacher Countdown. Die Rückblenden-Ebene beginnt mit einer Ankündigung von Chris (Samuel Schneider), Arnolds Sohn, der seine Ausbildung abgebrochen hat und Soldat geworden ist: Er eröffnet seinen Eltern (Barbara Auer spielt die Mutter), er habe sich für einen Auslandseinsatz (vermutlich Afghanistan) gemeldet. Anfangs handeln seine Mails davon, wie langweilig Krieg sein kann, aber dann mehren sich die düsteren Nachrichten, die der dennoch zuversichtliche Arnold seiner zunehmend depressiven Frau jedoch vorenthält; Chris zählt die Tage bis zu seiner Heimkehr. Parallel dazu spitzt sich der Zweikampf in den Bergen zu.

Die Winterbilder sind in Tirol entstanden

Trotz des Spannungspotenzials beider Handlungsstränge erzählt Rick Ostermann die Geschichte mit großer Gelassenheit. „Fremder Feind“ ist seine zweite Regiearbeit nach dem Debüt „Wolfskinder“ (2014), einem herausragenden Nachkriegsdrama über das Schicksal der ostpreußischen Kriegswaisen; schon damals hatte Kamerafrau Leah Striker einen ganz wesentlichen Anteil an der Qualität des Films.

Hannah Hollingers Drehbuch basiert auf dem Roman „Krieg“ von Jochen Rausch (erschienen im Piper-Verlag). Die Grimme-Preisträgerin („Grenzgang“, 2013) ist bekannt für die intensive Zeichnung ihrer Charaktere. Das ist in diesem Fall nicht anders, wobei die Rückblendenkonstruktion für einen reizvollen Verzögerungseffekt sorgt: Zunächst ist völlig offen, was Arnold in die Berge verschlagen hat, weshalb der Film lange Zeit allein von der düsteren Aura Ulrich Matthes’ lebt. Als Chris die Katze aus dem Sack lässt, ist zu erahnen, worauf der Erzählstrang mit den Rückblenden hinausläuft; nicht jedoch, dass die Tragödie noch viel größere Ausmaße annimmt. Erst am Schluss wird deutlich, warum sich Arnold, mutmaßlicher Alt-68er, Pazifist und Kriegsdienstverweigerer, auf eine bewaffnete Auseinandersetzung einlässt, in der es – wie in jedem Krieg – nur Verlierer geben wird.

„Fremder Feind“ ist ein Kriegsfilm, in dem der Krieg permanent präsent ist, obwohl er nur in kurzen Berichten vorkommt; die Geschichte verdeutlicht, dass zu den Kriegsopfern beileibe nicht nur jene zählen, die an der „Front“ (von der in Afghanistan keine Rede sein kann) fallen. Zwischendurch zieht sich „Fremder Feind“ allerdings etwas, weil schlicht nichts passiert. Abwechslung bringt neben den feindlichen Aktionen, die sicher nicht zufällig der Kriegsführung in Afghanistan gleichen, allein eine Begegnung Arnolds mit einer Wanderin (Jördis Triebel), die, wie sich erst später herausstellt, ihren gleichfalls in die Berge entschwundenen Ehemann sucht.

Weil Ostermann, abgesehen vom Finale, auf typische Spannungselemente verzichtet, kann von Nervenkitzel keinerlei   Rede sein. Die wundervollen Winterbilder der Kamerafrau Striker, die im Tiroler Navistal entstanden, produzieren zwar viel Augenfutter, aber letztlich macht in diesen Phasen vor allem die Ausstrahlung von Ulrich Matthes den Leerlauf wett.