Das anspruchsvolle Drama „Gesicht der Erinnerung“ von Dominik Graf erzählt von einer Frau, die ihren toten Geliebten in einem jüngeren Mann wiederzufinden glaubt.

Schon die ersten Minuten des ARD-Dramas „Gesicht der Erinnerung“ nehmen die Zuschauer mit auf einen rasanten Ritt durch die Gedankenwelt der Protagonistin. Der Blick in eine tiefe Schlucht scheint für die Abgründe in Christinas (Verena Altenberger) Innerem zu stehen, die sie ihrem Therapeuten anzuvertrauen versucht. Sie spricht von Visionen, die sie hat, keine Gedanken, keine Träume, keine Fantasien.

 

Christina nimmt Psychopharmaka, arbeitet als Physiotherapeutin und wohnt mit einer Freundin zusammen in einer Wohnung in Salzburg. Ihr Leben wird überschattet von den Erinnerungen an ihre erste große Liebe, die tragisch endete. Noch immer hängt das Bild von Jacob (Florian Stetter) über ihrem Bett, mit dem sie als 16-Jährige eine Beziehung hatte. Der deutlich ältere Mann war verheiratet und hatte ein Kind. Auf dem Weg zu Christina verunglückte er tödlich mit dem Auto.

Zwanzig Jahre später lernt Christina den zwanzigjährigen Patrick (Alessandro Schuster) kennen, der sofort von ihr fasziniert ist und sie umwirbt. Seine Gesten und sein Wesen erinnern sie stark an ihre Jugendliebe. Als sie erfährt, dass Patrick kurz nach Jacobs Tod wenige Kilometer von der Unfallstelle geboren wurde, glaubt sie mehr und mehr an die Wiedergeburt ihrer großen Liebe.

Dominik Graf erzählt das Drama auf ungewöhnliche Weise

Der „Film-Mittwoch“ im Ersten bietet in dieser Woche ein anspruchsvolles, forderndes Drama des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens“, „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“) über den Verlust eines geliebten Menschen, der nicht überwunden werden kann. Graf hat das Drehbuch von Norbert Baumgarten auf eine ungewöhnliche Weise umgesetzt, die manchmal anstrengend, aber auch spannend ist. Wird Christina langsam verrückt, wie sie selbst befürchtet? Oder wurde ihre Jugendliebe tatsächlich wiedergeboren? Alles scheint möglich. Das intensive Zusammenspiel von Verena Altenberger und Alessandro Schuster wirkt dabei so natürlich, als würden sie nicht schauspielern.

Es gibt nur wenige Momente, in denen die Protagonisten unbeschwertes Glück genießen dürfen. Etwa, wenn Patrick mit seiner Band ein Konzert gibt und eine Liebesballade für Christina singt. Sie, die den Song zuvor als kitschig bezeichnet hatte, springt plötzlich auf, rennt zu ihm und küsst ihn. Doch die eingängigen, melodiösen Balladen des Klavierspielers Patrick stehen in krassem Kontrast zu der Pianomusik, mit der viele Szenen des frisch verliebten Paares untermalt werden. Dieses Klavierspiel will nicht im Hintergrund bleiben, es zerrt an den Nerven und vermittelt das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt.

Die Geschichte nimmt eine überraschende Wendung

Unbehaglich fühlen sich auch die Erinnerungen Christinas an ihre große Liebe an, die in leicht verschwommenen Rückblenden erzählt werden und durch die immer wieder eine Spinne krabbelt. Und so fühlt man sich bald unwohl beim Beobachten ihrer neuen Liebesbeziehung, die sich ebenfalls unweigerlich auf einen Abgrund zuzubewegen scheint, als Christina den überforderten Patrick auch optisch in Jacob verwandeln will.

Patrick zieht sich von Christina zurück. Doch dann nimmt die Handlung plötzlich eine überraschende Wendung, die der Geschichte zwar nicht die Tragik nimmt, aber dennoch versöhnlich stimmt.

Gesicht der Erinnerung: Mittwoch, 8. Februar, 20.15 Uhr, ARD