Das ARD-Drama „Sag mir nichts“ erzählt vom Einbruch einer Amour fou in den Ehe- und Familienalltag – ein starkes Stück Fernsehkunst mit Ronald Zehrfeld und Ursina Lardi in den Hauptrollen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Ein Blick in der Mannheimer S-Bahn genügt, und es ist um die beiden geschehen. Er folgt der unbekannten Frau spontan ins Hallenbad; im Wasser belauern sie sich kraulend, um dann, mit noch nassen Haaren, in der Dunkelheit auf einem Fußballplatz übereinander herzufallen. Es ist eine stumme Entladung der Begierde, man hört nur das Metallzaungitter, in das sich ihre Finger krallen, scheppern. Und man hört ihr Keuchen. Dann sitzen sie sich erschöpft, immer noch wortlos, in der Bahn gegenüber, können vor Verlangen kaum an sich halten. Als er aussteigt, ist der Erotik-Spuk vorbei. Beide kehren heim zu ihrem nicht unglücklichen Leben: Er zu seiner Frau (Sarah Hostettler) und dem Abendessen mit den distinguierten Schwiegereltern, die am Wein herumkritteln; sie zur jugendlichen Tochter in der Sturm-und-Drang-Phase und ihrem Ehemann Bodo (Roeland Wiesnekker). Der mag’s gemütlich, sitzt gern mit einem Bier vor dem Fernseher und ist ein lieber Kerl.

 

„Sag mir nichts“ erzählt vom Einbruch einer Amour fou in den Ehe- und Familienalltag von zwei Menschen. Regie (Andreas Kleinert) und Buch (Norbert Baumgarten) genügen flüchtige Pinselstriche, um tief hinein zu blicken in soziale Milieus und Beziehungsverhältnisse. Und allein der Auftakt des ARD-Dramas, das ursprünglich im November im Ersten ausgestrahlt werden sollte, dann aber wegen der Berichterstattung zur US-Wahl aus dem Programm genommen wurde, ist meisterhaft, doch auch im weiteren Verlauf erweist sich „Sag mir nichts“ als ein filmisch überragendes Werk – mit einer Kamera als neutralem, aber nie kühl beobachtendem Drittem; knappen und glaubhaften, weil lebensnahen Dialogen und einer Filmmusik (Daniel Dickmeis), die auf fast magische Weise die emotionale Stimmung verstärkt.

Ronald Zehrfeld und Ursina Lardi als Martin und Lena reißen mit ihrem überragenden Spiel den Zuschauer von Anfang mit – vor allem Lardi ist in der emotionalen Durchdringung ihrer Figur eine Offenbarung. So wird man von der enthemmten, soghaften Leidenschaft der beiden genauso ergriffen wie von den pathologischen Ausmaßen, die ihr sich zu Routine wandelnder Betrug annimmt. Das Doppelleben kommt erst zustande, nachdem sie sich zufällig in einem Kaufhaus wiedersehen; beim ersten Aufeinandertreffen hatten sie weder Namen noch Handynummern getauscht.

Dem Glück steht die eigene Mutlosigkeit im Weg

Die Wirklichkeit untergräbt schleichend ihren emotionalen, erotischen Ausnahmezustand. Der Lokaljournalist Martin wird von seiner Frau Solveig unter Druck gesetzt: Ständig wird er von ihr sexuell gefordert, damit ihr zwanghafter Kinderwunsch in Erfüllung geht. Gleichzeitig erwartet sie von ihm sowohl beruflichen Erfolg als auch Buckeln vor den betuchten Schwiegereltern. Lena holen die existenziellen Nöte ihres Fotostudios ein, das sie mit einer Freundin betreibt; sie findet heraus, dass ihre Tochter lesbisch ist. Als deren erste Liebe ihr den Laufpass gibt und Tochter Susanna (Lea van Acken) sich in den Armen ihres Vaters ausweint, tröstet der sie: „Irgendwann wird da jemand sein, der es wert ist, dass es weh tut.“ Und so hält Bodo, als er vom Betrug seiner Frau erfährt, den Schmerz stoisch aus.

„Ich hab alles vergessen. Den ganzen Scheiß. Nichts mehr da, danke!“, sagt Lena zu Martin am Strand bei ihrer kleinen Flucht ans Meer mit leuchtenden Augen. Dann tanzt sie in den Wellen zu einem Chanson, verzweifelt verliebt, doch in der Nacht liegt sie wach neben ihrem schnarchenden Liebhaber und hat Heimweh nach ihrem Mann. Das Liebesabenteuer gerät für beide zur Projektionsfläche für neue Sehnsüchte, deren Erfüllung ihnen die Lebensumstände scheinbar verwehren. Mit der Schilderung der äußeren Zwänge führt der Regisseur Andreas Kleinert jedoch bewusst auf eine falsche Fährte. Denn letztlich sind es Mutlosigkeit, Selbstverleugnung, das Arrangieren mit den Verhältnissen und eben nicht diese selbst, die dem Glück der Protagonisten im Weg stehen.

Es gewinnt der, der – um seine subjektive Wirklichkeit zu bewahren – alles unternimmt. „Sag mir nichts“ – mit den Worten des Filmtitels bremst Solveig ihren Mann aus, als er beim Spaziergang dazu ansetzt, ihr seinen Betrug zu offenbaren. Es ist ein Pyrrhussieg. Das Ende ist so bitter wie lakonisch – und realitätsnah. „Sag mir nichts“: ein starkes Stück Fernsehkunst.

ARD, Mittwoch, 20.15 Uhr