Deutschland – ein Land für Sextouristen? Das ist nicht nur Gerede. Tina Soliman und Sonia Kennebeck sind für die Dreharbeiten zu ihrer ARD-Dokumentation „Sex – Made in Germany“ häufig auch in der Region Stuttgart unterwegs gewesen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Die blonde Nathalie ist ganz das liebe Mädchen. In Jeans und rotem Pullover sitzt sie auf einem Hotelbett, lächelt auf scheue und doch kokette Art in die Kamera und erzählt, wie das ist, sich selbst im Internet zu versteigern. Dass sie gerne küsse und schmuse, und dass „alles, was in die SM-Schiene geht“ für sie „schon tabu“ sei. Nathalie bietet sich unter dem Pseudonym „Elfenversuchung“ stundenweise auf der Stuttgarter Onlineauktionsplattform Gesext.de feil. Sie prostituiert sich, auch wenn sie das so nicht sagen würde.

 

Ganz anders Bettina, die selbstbewusste Hure aus dem Club Paradise bei der Stuttgarter Messe, dem „größten Puff Europas“: Stolz erzählt diese, dass sogar Männer aus den USA einfliegen würden, um das Paradise zu besuchen. Deutschland – ein Land für Sextouristen? Dass das nicht nur Gerede ist, zeigen Tina Soliman und Sonia Kennebeck in ihrer Dokumentation „Sex – Made in Germany“ mit dem Untertitel „Prostitution und Profiteure“ eindrücklich. Ein amerikanischer Kameramann ist für sie sogar verdeckt bei einer Sexreise mitgeflogen.

Besonders häufig in Stuttgart gefilmt

Zwei Jahre lang haben die Journalistinnen für den 45-Minüter im florierenden Sexgewerbe recherchiert. Sie haben mit Prostituierten, Bordellbesitzern, Zuhältern, Freiern, Pornodarstellern und Finanzbeamten gesprochen. Die These: Auch in der Prostitution habe Deutschland die Spitzenposition in Europa inne. Und gerade in Stuttgart, so wirkt es, profitieren besonders viele von einem der liberalsten Prostitutionsgesetze der Welt. Gedreht haben Tina Soliman und Sonia Kennebeck deutschlandweit, doch in Stuttgart und Umgebung waren sie am häufigsten.

Gleich der Auftakt führt in den FKK-Club Paradise in Echterdingen: Kaum bekleidete Frauen und Männer, die nur Handtücher um die Hüften geschlungen haben, sind zu sehen, sie scheint es nicht zu irritieren, dass eine Kamera sie filmt. „Wir haben versucht, nicht zu stören“, erzählt Tina Soliman am Telefon. Bordellchef Jürgen Rudloff hat das Filmteam sogar in sein Stuttgarter Privathaus gelassen – er kannte die Journalistinnen von einem vorherigen Projekt für das Magazin „Panorama“. Sogar seine Kinder sitzen mit am Tisch.

Auch den Geschäftsführer der Internetauktionsplattform von Gesext.de, Herbert Krauleidis, haben Soliman und Kennebeck getroffen. Die Plattform hat schon für Schlagzeilen gesorgt, weil dort junge Frauen ihre Jungfräulichkeit versteigern. „Was in Deutschland erlaubt ist, lassen wir zu“, sagt Krauleidis in der Dokumentation.

„Wie Müll“ behandelt

Tina Soliman hätte nicht gedacht, dass sie das Thema Prostitution derart häufig nach Stuttgart führen würde. „Dass es gerade in Baden-Württemberg so fidel zugeht, da waren wir schon erstaunt.“ Die Szenen, die sie im Leonhardsviertel gefilmt haben, schafften es zwar nicht in die Dokumentation, aber dafür das Cannstatter Volksfest: Rudloffs Damen machen dort unter anderem in der Loge des Hofbräu-Zelts Werbung für den Paradise-Club – und Festwirt Hans-Peter Grandl feiert ausgelassen mit. Die Bilder werden ihn nicht erfreuen.

Eine ehemalige Prostituierte aus dem geschlossenen Pussy-Club in Fellbach haben Soliman und Kennebeck zudem in Rumänien besucht, wo Prostitution verboten ist. „Wie Müll“ sei sie in Deutschland behandelt worden, berichtet die Rumänin, sie habe keinen Kunden in dem Flatrate-Bordell ablehnen dürfen, teils zwei Stunden geschlafen.

Auch den Leiter der Stuttgarter Stadtkämmerei, Volker Schaible, haben die Journalistinnen interviewt: Schließlich nimmt die Stadt über die Vergnügungssteuer jedes Jahr Millionen ein. Der Staat sei einer der Profiteure der Prostitution, stellt Tina Soliman klar. „Viel Herzblut“ stecke in der Dokumentation, sagt sie. Mit einigen der Frauen seien sie seit Jahren im Kontakt und dieser werde nicht abreißen. Eine Escort-Lady zum Beispiel, die in der Dokumentation gar nicht auftaucht, rufe sie manchmal nachts an, um zu plaudern.

Sie werde dran bleiben an dem Thema, sagt Soliman. Das Prostitutionsgesetz müsse nachgebessert werden. Ihr nächstes Projekt allerdings dreht sich um etwas anderes – die Frage, ob Geld glücklich macht.

Legalisierung des Gewerbes

Legalisierung
Am 1. Januar 2002 ist das Prostitutionsgesetz in Kraft getreten. Seither ist Prostitution in Deutschland legal: Prostituierte können sich regulär kranken- und rentenversichern. Auch das Betreiben von Bordellen wird nicht mehr unter Strafe gestellt. Kritiker bemängeln, dass das Gesetz die Situation der Prostituierten nicht verbessert, sondern noch verschlimmert habe – zum Beispiel durch das Aufkommen der Flatrate-Bordelle.

Programm
„Sex – Made in Germany. Prostitution und ihre Profiteure“ läuft am Montag, 10. Juni, um 22.45 Uhr in der ARD – am festen Sendeplatz für Dokumentationen im Ersten.