Die Tragikomödie „Herr Lenz reist in den Frühling“ mit Ulrich Tukur erzählt in leisen Tönen und vielsagenden Bildern von einer Selbstfindung.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - „Is there anybody out there“: Während Pink Floyds melancholisch-existenzieller Song so Gänsehaut erzeugend von Einsamkeit und unerfüllten Sehnsüchten kündet und Holger Lenz (Ulrich Tukur) durch sein schickes, seelenloses Berliner Neubauviertel zur Arbeit fährt, weiß man es: Das kann was werden mit diesem Fernsehfilm, trotz dieses kindischen Titels mit dem abgegriffenen Wortspiel: „Herr Lenz reist in den Frühling“.

 

Und die Ahnung erweist sich als richtig. Was folgt, ist keiner dieser langweiligen, klischeegesättigten TV-Vorhersehbarkeiten, auch wenn dem bereits für ihr Alzheimer-Drama „Mein Vater“ mit einem International Emmy Award gekrönten Duo Andreas Kleinert (Regie) und Karl-Heinz Käfer (Buch) ganz am Ende die Feinfühligkeit und Originalität doch noch ein bisschen abhandenkommt.

Pink Floyd und ihr Album „The Wall“ sind später noch einige Male Anknüpfungspunkt - das Bild von Mauern, aufgerichteten, trennenden und schließlich doch überwundenen, ist ein Leitmotiv dieser gelungenen Tragikomödie. Es geht um das Verhältnis von Väter und Söhnen, um die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und den Kraftakt, der vielleicht nötig ist, um sie zu überwinden.

Für Herrn Lenz, die Titelfigur, ist der Preis dafür hoch, aber lohnend. Im Verlauf der neunzig Minuten fliegt ihm sein ganzes Leben um die Ohren, doch zurückbleiben keine Scherben, sondern die Pflastersteine für einen Weg, der zu sich selbst, zu ein bisschen Glück und zu seinem Sohn führt.

Sogar der Familienhund macht einen Bogen um den Loser

Herr Lenz, gespielt von Ulrich Tukur, ist ein Berliner Versicherungsangestellter, der es sich mit großer Gewissenhaftigkeit in seiner Tristesse eingerichtet hat. Reihenhaus, Mittelklasseauto, Frau, Sohn – alles da, nur dass seine Frau Ilona (Steffi Kühnert) ihn ausgerechnet mit dem Kollegen betrügt, der ihm bei der Beförderung zuvorgekommen ist; dass sein schwuler Sohn Linus (Simon Jensen) diesen „stadtbekannten Loser“ gründlich missachtet und dies mit einem Videoblog im Internet („Aus dem Leben eines homophoben Spießers“) kund tut, und dass sogar der Familienhund Mr. Schmidt ihn meidet. So wie es in seinen Augen auch sein eigener Vater Georg getan hat, ein überzeugter Sozialist, der am Ostberliner Fernsehturm mitbaute, nach dem Fall der Mauer erst nach Vietnam, dann nach Thailand verschwand und bis auf eine einzige Postkarte in zwanzig Jahren nichts mehr von sich hören ließ.

Das wohlgeordnete Unglück des Herrn Lenz bringt eines Tages eine grellgelbe Waschmittelflasche in Unordnung: Darin befindet sich angeblich die Asche von Holgers Vater. Um die von ihm hinterlassene Wohnung in Pattaya möglichst gewinnbringend zu verkaufen, macht sich der Sohn auf den Weg ins Land des Lächelns. Diese Reise wird zum schmerzhaften Trip zu sich selbst; gleichzeitig werden seine „engen Moral- und Wertvorstellungen aus den Gleisen gehoben“, wie Andreas Kleinert formuliert.

Der Regisseur lässt Bilder sprechen

Der Regisseur und sein Kameramann Johann Feindt zeigen die Sextourismus-Szenerie in Pattaya dokumentarisch, ohne jeden Voyeurismus; und wenn Holger sich in die Provinz zur thailändischen Großfamilie seines Vaters aufmacht, wird Lokalkolorit und Naturschönheit keineswegs als pittoreske Kulisse missbraucht. Immer wieder konterkariert zudem Käfer Erwartungshaltungen und arbeitet mit Kleinert auch formal Überraschungsmomente heraus. Mit der schönen Prostituierten, die sich in Holgers Apartment schleicht, kommt alles ganz anders; und als ihm Ilona via Skype eröffnet, dass sie ihn verlassen wird, setzt die Regie Holgers bloß imaginierten Kampf mit dem Rivalen (Max Hopp) in Szene.

Zudem verlässt sich Duo Kleinert/Käfer immer wieder auf seine Fähigkeit, Bilder sprechen zu lassen anstatt gekünstelte Dialoge zu konstruieren. Holgers ängstliche Kleinbürger-Natur offenbart sich auf Anhieb in einer Szene, in der er, gerade im Land des Lächelns angekommen, die Schönheit des Sonnenuntergangs am Meeresufersaum betrachtet. Dann fällt sein Blick auf seinen Koffer, den er ein paar Meter hinter sich im Sand gelassen hat. In der nächsten Einstellung genießt er mit dem Koffer in der Hand das exotische Panorama. Und wenn für den schließlich wiedergefundenen Vater, der sich zum Sterben auf eine Insel zurückgezogen hat, die Stunde des Todes schlägt, sieht man lediglich, wie Mönche in orangefarbenen Gewändern aus ihren Booten steigen und an Land waten.

Tukur ist ein großartiger Verlierer. Es gelingt ihm, mit diesem Antihelden, den er mit eingefallenen Schultern und verkniffenem, dauertraurigen Gesicht spielt, tatsächlich über weite Strecken seine eigene Aura zu überdecken und im Verlauf des Films die innere Wandlung und Öffnung seiner Figur glaubhaft nach außen kehren. Das (Er-)Leuchten in seinem Gesicht, ganz am Schluss, schreibt man nicht Ulrich Tukur, sondern seinem Herrn Lenz zu.

ARD, 20.15