Das Drama „Weiter als der Ozean“ ist ein Film mit vielen Problemen. Mit vielen Therapiesitzungen. Und mit vielen Szenen, in denen junge Schauspieler Kinder mit Problemen spielen.

Stuttgart - Was ist nur mit den Kindern los? Und mit deren Eltern? Warum ist mein Chef so ein fantasieloser Pedant? Wieso lässt mich mein Freund hängen? Wie finde ich mich jetzt allein zurecht in diesem Ozean namens Berlin? Und: Wo ist der Buckelwal? Findet er den Weg aus der Ostsee?

 

Judith, Ende zwanzig, gehen ein paar schwer wiegende Fragen durch den Kopf. Die Kindertherapeutin ist frisch in die Hauptstadt gezogen, leider ohne ihren Freund Christian, der nicht wie versprochen nachkommt. An ihrer neuen Arbeitsstelle trifft sie als Berufsanfängerin auf abgebrühte Kolleginnen und nicht immer auf das Verständnis ihres Chefs. Das sind schon mal genug eigene Probleme, aber eigentlich soll Judith ja anderen helfen: Der sechsjährige Konrad macht immer noch ins Bett. Der neunjährige Linus verschafft sich gerne mit Schlägen Respekt. Und die 13-jährige Nele folgt nur noch ihren eigenen Regeln. Die Schule hat da leider keinen Platz mehr, die Mutter nervt sowieso und jetzt auch noch die Therapeutin.

Mit Sorgfalt und Lebendigkeit inszeniert

„Weiter als der Ozean“ ist ein Film mit vielen Problemen. Mit vielen Therapiesitzungen. Und mit vielen Szenen, in denen Kinder Kinder mit Problemen spielen. Klingt nicht danach, als ob das gut gehen könnte. Aber es geht gut, und wie. Der offenkundigste Grund ist die Hauptdarstellerin: Rosalie Thomass, 26, trägt diesen Film in ihrer ersten alleinigen Hauptrolle, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Judith ist keine patente Alleskönnerin. Manchmal wirkt sie selbst wie ein trotziges Kind, und in ihrem Leben wie in ihrer Wohnung ist es noch etwas unaufgeräumt. Im Gesicht der Grimme-Preisträgerin Thomass findet man das alles, diese nicht mehr ganz so unbeschwerte Jugendlichkeit, dieses leichte Erschrecken über das eigene Erwachsensein ebenso wie die Kraft und die Leidenschaft. Das ist von der ersten Sekunde an ansteckend. Wenn Judith durch Berlin radelt, ist es so, als ob einem selbst der Fahrtwind um die Nase weht.

Die große Stärke ist außerdem die Sorgfalt und Lebendigkeit, mit der der Film mit den Themen Erziehung und Familie umgeht. Die drei „Fälle“ aus verschiedenen Altersgruppen sind sicher exemplarisch angelegt, aber hier werden keine Lehrbücher inszeniert, keine schwülstigen Therapieanalysen abgeliefert, sondern einfach Geschichten erzählt, wie sie in vielen Familien vorkommen. Judith geht in den Sitzungen bedächtig vor, beobachtet, bemüht sich um Kontakt, gibt Impulse. Die junge Frau mag bisweilen unsicher sein, aber den pädagogischen Profi nimmt man ihr dennoch ab.

Orientierungssuche mit poetischer Dimension

Bemerkenswert, wie spannend und präzise diese Szenen inszeniert wurden, wie natürlich und ungekünstelt auch das Spiel der Kinder wirkt. Die Drehbuchautorin Beate Langmaack und die Regisseurin Isabell Kleefeld setzen hier Maßstäbe. Und dann wäre da noch die Sache mit dem Buckelwal, der gleich zu Beginn vor die Kameralinse schwimmt und anschließend unsichtbar durch die fiktiven Nachrichtensendungen geistert. Ein Suchender, der selbst gesucht wird, denn alle wollen diese Attraktion gerne mit eigenen Augen sehen. Oder fühlen sich ihm, wie Judith, irgendwie verbunden. Vor einigen Jahren hat es diesen Fall wirklich gegeben: Wal „Bucki“ hatte sich in die Ostsee verirrt und drohte zu verhungern. Hier ist das eine Metapher für Orientierungssuche, aber dem Film beschert die Wal-Episode eine weitere, eine poetische Dimension. Außerdem ergibt sich so eine schöne, kleine, unvollendete Liebesgeschichte. Robert Gwisdek spielt den vollbärtigen, etwas schluffigen Meeresbiologen Martin, der Judith mit Wal-Gesang zu beeindrucken versteht.