„Jäger in der Nacht“ heißt der zweite Film mit Melika Foroutan als Louise Boni. Die Fernsehkommissarin hat sich in ihm mit Gewalt gegen Frauen zu befassen.

Stuttgart - Ein Junge findet in einer Scheune eine halbnackte, verletzte Frau. Er ruft seinen Freund, der das auf dem Boden liegende Opfer in aller Ruhe betrachtet und auch mal unter die Decke blickt, die die Frau verhüllt. So etwas wie Mitleid und Hilfsbereitschaft scheint sich bei den beiden Teenagern nicht zu entwickeln. Man beschließt, erst einmal nach Hause zu gehen. Das Essen wartet, außerdem läuft ein wichtiges Fußballspiel im Fernsehen. Danach wollen sich die Jugendlichen wieder mit der Frau beschäftigen.

 

„Ficken, Fressen, Fußball“, murmelt die Kommissarin Louise Boni (Melika Foroutan) fassungslos, nachdem die Polizei den Ablauf rekonstruiert hat. Allerdings ist das Opfer, die verletzte Studentin Nadine (Livia Matthes), mittlerweile verschwunden, und einer der beiden Jugendlichen aus der Scheune, der 16-jährige Eddie (Nino Böhlau), wird in einem See gefunden. Er ist ertränkt worden, sein extrem aufbrausender und gewalttätiger Vater (Jürgen Maurer) gerät in Verdacht.

„Jäger in der Nacht“ ist der zweite Film mit Melika Foroutan als Louise Boni, die eine ungewöhnliche Eigenschaft hat für eine Fernsehkommissarin: Sie ist eine Einzelgängerin mit großen eigenen Problemen – ihr größtes ist der Alkohol. Nach einer Entziehungskur ist Boni nun trocken, und sie reagiert buchstäblich bissig, wenn ihr junger Liebhaber beim Küssen nach Alkohol schmeckt. Die Versuchung, Zuflucht im Rausch zu suchen, bleibt allgegenwärtig. Immer mal wieder fällt ihr Blick sehnsüchtig auf die Flasche Schnaps im Kiosk-Regal, geht zum Bierglas in der Kneipe, und im Handschuhfach ihres Autos findet sich auch noch ein Rest Hochprozentiges. Melika Foroutan sagt treffend über ihre Figur: „Wir haben es mit einer Frau zu tun, die sich zwar ein paar Meter vom Abgrund entfernt hat, vielleicht aber auch nur, um sich mit Anlauf hinab zu stürzen.“

Erschreckende Eröffnungsszene in einer Scheune

Dass eine Ermittlerin ein besonderes Gespür für Verbrecher und Verbrechen hat, weil sie selbst zu den Angeschlagenen gehört, muss nicht automatisch glaubwürdig sein. Hier aber stimmt die Mischung, auch wegen der düsteren, (alp-)traumhaften Bilder-Landschaft des Kameramanns Jörg Widmer. Die meisten Figuren sind befremdlich, skurril, aggressiv oder wenigstens verschroben. Und die exzellente Hauptdarstellerin Foroutan bleibt von Standard-Dialogsätzen weitgehend verschont. Die im vergangenen Jahr begonnene Reihe bietet auch in ihrem zweiten Film nicht den üblichen Krimi-Realismus. Der Auftakt („Begierde – Mord im Zeichen des Zen“), der im Umfeld eines buddhistischen Klosters spielte, war zudem noch ein bisschen exotisch und rätselhaft.

„Jäger in der Nacht“ wirkt klarer, aber auch härter, beginnend bei der ersten, erschreckenden Szene in der Scheune. Spannender wird es auch: Für Louis Boni wird es am Ende selbst bedrohlich. Thema des Films ist die Gewalt gegen Frauen; die männlichen Täter brechen aus der Rolle der unbescholtenen Bürger aus, leben ihre Fantasien aus, rücksichtslos und gewalttätig. Als „unglaublich“ bezeichnet es der Autor Oliver Bottini, „wie viel Gewalt es auf unterschiedlichen Ebenen gegen Frauen gibt und wie das einfach so hingenommen wird“. Nebenbei bemerkt: dies ist natürlich kein Reflex auf die Silvesternacht in Köln. Die Geschichte war längst geschrieben, der Film längst gedreht – was daran erinnern könnte, dass über das Thema schon zuvor allzu leicht hinweg gesehen wurde.

Der Fall spielt nicht in Freiburg, sondern Aachen

Der Romanautor Bottini hat die Figur Louise Boni erfunden, der hier verfilmte Fall war der vierte in der Buchreihe, erschienen 2009. Im Fernsehen ist die Kommissarin nicht in Freiburg, sondern in Aachen zu Hause, und wenn Boni am Kiosk zwei „Wurstsemmeln“ für sich und ihren Freund, den Taxifahrer, kauft, passt das nicht mehr so ganz. Aber Hannah Hollinger (Drehbuch) und Brigitte Maria Bertele (Regie), beide für andere Filme mit Grimme-Preisen ausgezeichnet, haben die Reihe im Fernsehen neu und frisch zum Leben erweckt. Das kann man nicht über jeden der zahlreichen Kriminalromane sagen, die zurzeit von den Sendern verfilmt werden.