ARD-Themenabend zu Fake-News: Zwei sehenswerte Dokumentationen zeigen am Montagabend, wie Lügen und Gerüchte gezielt in sozialen Netzwerken verbreitet werden.

Stuttgart - Es ist leider wie so oft im Ersten: Da nimmt sich die ARD eines Themas von außerordentlicher Relevanz an, und dann zeigt sie die Sendungen erst zu nachtschlafender Zeit. Gleich zwei Beiträge aus der Reihe „Die Story“ beschäftigen sich mit dem Komplex Internet, soziale Netzwerke und Politik. Zunächst beschreiben Diana Löbl und Peter Onneken (WDR) in ihrem Beitrag „Infokrieg im Netz“ (Montag, 23.00 Uhr), wie russische Hacker versucht haben, die Präsidentschaftswahlen in den USA und in Frankreich zu beeinflussen. Mit Blick auf die Bundestagswahl im September schildert der Film, wie über soziale Netzwerke Stimmung gemacht wird und wie gut oder schlecht Parlament und Abgeordnete vor Hackerangriffen geschützt sind.

 

Die zweite Dokumentation ist allerdings deutlich näher am Alltag der meisten Zuschauer: „Im Netz der Lügen“ (Montag, 23.45 Uhr) von Claus Hanischdörfer setzt sich facettenreich mit dem Phänomen „Fake News“ auseinander. Herzstück des Films ist ein Versuch des derzeit sehr gefragten Stuttgarter Kommunikationswissenschaftlers Wolfgang Schweiger. Der Professor von der Universität Hohenheim hat erforscht, welchen Einfluss soziale Medien mit ihren „Filterblasen“ und „Echokammern“ auf die Meinungsbildung haben. Wie erschreckend einfach sich mutwillig gefälschte Nachrichten im Internet verbreiten lassen, demonstrieren zwei seiner Mitarbeiterinnen. Sie haben sich eine jener typischen „Fake News“ ausgedacht, die von den Nutzern ungeprüft weitergeleitet werden: In einem fiktiven Ort bekommen männliche Flüchtlinge angeblich einmal pro Woche Besuch von Prostituierten; die Kosten übernimmt das zuständige Landratsamt. Um dem erfundenen Skandal die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen, haben die beiden Frauen eine eigene Website kreiert („Der Volksbeobachter“) und einen Mann namens Volker Mayer erfunden, der mit authentischer Empörung Nachrichten teilt. Dank seines Eifers hat Volker Mayer im Nu viele Facebook-Freunde. Als er die Geschichte über den „Gratis-Sex“ in die Welt setzt, zweifelt kaum jemand an ihrem Wahrheitsgehalt; mit Ausnahme ganz weniger Nutzer, die sich die Mühe gemacht haben rauszufinden, ob es den Ort überhaupt gibt.

Die Menschen glauben, was in ihr Weltbild passt

Rund um diesen zentralen Handlungsstrang, zu dem der Film immer wieder zurückkehrt, trägt Hanischdörfer eine derart große Vielzahl einzelner Aspekte zusammen, dass manche Punkte zwangsläufig etwas flott abgehandelt werden. Unter anderem ist der SWR-Autor diversen Falschmeldungen nachgegangen. Die erste beruht auf einem Foto: Ein halbes Dutzend Männer, mutmaßlich Moslems, scheint gegen eine Kirche zu urinieren. Die Empörung im Netz war groß. Ein bekannter NPD-Funktionär stellte das Bild ungeprüft auf seine Website und fragte seine Nutzer, was „die wohl mit uns“ machen würden, wenn man gegen eine Moschee pinkle? Hanischdörfers Recherche entlarvt den Skandal als Missverständnis: Bei den vermeintlichen Moslems handelt es sich um Christen aus Eritrea, die sich in der Tradition ihres Glaubens betend an die Mauer lehnen. Das machen sie an dieser Kirche schon seit vielen Jahren, das Foto ist vorsätzlich falsch interpretiert worden.

Ein Besuch in Schweigers Seminar verdeutlicht allerdings, wie schwierig es oft ist, „Fake News“ ohne nähere Überprüfung zu erkennen: Der Professor konfrontiert seinen Studierenden mit zum Teil völlig absurd klingenden Nachrichten, die keineswegs alle falsch sind. Die Menschen, erläutert der Kommunikationswissenschaftler, seien immer dann besonders leichtgläubig, wenn eine Information in ihr Weltbild passe. Deshalb haben viele Nutzer auch eine weitere Falschmeldung nicht infrage gestellt, die sich gleichfalls in Windeseile verbreitet hat: In Mannheim ist ein Mann in eine Fußgängergruppe gefahren. Die Polizei versicherte zwar, es handele sich um einen Deutschen ohne Migrationshintergrund, aber im Netz machte umgehend das Gerücht die Runde, der Fahrer sei ein syrischer Flüchtling. Als sich dann noch ein angeblich an der Festnahme beteiligter Beamter via Twitter und Facebook darüber beschwert, den Polizisten würde befohlen, die Wahrheit zu verschweigen, zweifelt offenbar niemand mehr, dass der Vorfall die Tat eines Arabers war.

Für den Schulunterricht empfohlen

Wie so oft bei Dokumentationen dieser Art kommt die dunkle Seite etwas kurz. Kein Wunder: Wer ARD, ZDF und die Qualitätszeitungen als Lügen- oder auch Propagandapresse tituliert, wird sich nicht ausgerechnet einem Repräsentanten dieses Systems zum Interview stellen. Immerhin ist der NPD-Funktionär zu einem Gespräch bereit, und ein bekennender AfD-Wähler im Rentenalter erläutert seine Motive, warum er sich im Netz gegen eine angebliche Überfremdung engagiert, aber besonders erhellend sind diese Begegnungen nicht. Wenig überraschend ist auch die Erkenntnis, dass die verschiedenen unabhängigen „Fake News“-Jäger und „Faktenchecker“, deren Arbeit Hanischdörfer beschreibt, ungleich auskunftsfreudiger sind als der Facebook-Konzern, der die Fragen des Autors nur schriftlich und sehr nichtssagend beantwortet hat.

Damit das Thema richtig rund wird, geht Hanischdörfer auch noch auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hass und Hetze ein und lässt Renate Künast zu Wort kommen; die frühere Ministerin hat im Dezember 2016 nach einem gefälschten Zitat, das ihr in den Mund gelegt worden war, Strafanzeige erhoben. Am Ende ist sogar noch Zeit für eine kurze Verbeugung vor einem schwäbischen Lokalreporter, der sich unermüdlich und in vielen Überstunden für die Glaubwürdigkeit des Journalismus engagiert. Trotz dieser thematischen Überfülle leistet „Im Netz der Lügen“ einen derart wichtigen Beitrag zur Medienkunde, dass der Film unbedingt im Schulunterricht zum Einsatz kommen sollte.