Das Lagerfeuer knistert, die Schnapsflaschen kreisen: „Matthiesens Töchter“ mit Matthias Habich ist eine Sozial-Dramedy im Western-Look und erzählt vom heiteren Beinah-Scheitern eines Familienclans.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Schießen kann er noch, der alte Matthiesen. Treffsicher ballert der Sturschädel mit seinem Repetiergewehr auf Schnapsflaschen, die er zuvor leer gesoffen hat. Wie der weißbärtige Kauz auf seinem heruntergekommenen Pferdehof in seinem Lehnstuhl lümmelt und das Glas zersplittern lässt, das gibt ein hübsches Bild her. Dass eine ruhige Hand bei einem schweren Trinker unwahrscheinlich anmutet, ist dabei sekundär: Realitätsansprüche sollte man bei Unterhaltungsfilmen dieses Kalibers besser an den Stallhaken hängen.

 

Den Wilden Westen, den der Regisseur Titus Selge mit seinem Kameramann Martin Langer da so stilsicher für die ARD-Degeto in Szene setzt, liegt im deutschen Nordosten, in Mecklenburg-Vorpommern. Das passt: Dort droben geht es rau und wortkarg zu; man sitzt zu jeder Jahreszeit am Lagerfeuer und führt die Flasche an den Mund. Und die Heidelandschaft bei Stralsund macht sich als Prärie-Ersatz nicht schlecht: In Cowboy-Manier stieben zum Auftakt die drei Töchter Matthiesens auf dem Pferderücken in die verschiedenen Himmelsrichtungen davon; dazu hat Dominik Giesriegl das musikalische Titelmotiv des Westernklassikers „Die glorreichen Sieben“ von John Sturges variiert. Der US-Regisseur taucht übrigens auch im Namen der Dorfkneipe „Zum alten Sturges“ auf.

Von Vaterliebe keine Spur

Die Western-Tragikomödie „Matthiesens Töchter“ erzählt aber nicht von erbitterten Schießduellen und kühnen Heldentaten zur Herstellung einer neuen, besseren Welt, sondern vom heiteren Beinah-Scheitern eines Familien-Clans: Matthiesen (Matthias Habich) hat nach dem Verschwinden seiner Frau den Reiterhof an die Wand gefahren und sich konsequent von Hochprozentigem ernährt, weshalb seine drei Töchter ihm den Rücken zukehrten. Als einziger Freund ist dem Raubein der Tierarzt Gernot Rantzer (Thomas Neumann) geblieben, doch der steht in Folge einer Bürgschaft für seinen Kumpan ebenfalls vor der Pleite. Die Existenz der beiden Alten ist ernsthaft bedroht: Der Bankdirektor (Martin Brambach) will sich den überschuldeten Hof krallen. Dass Esther, Rahel und Thirza ausgerechnet jetzt zurückkehren, hat nichts mit wiederentdeckter Vaterliebe zu tun: Ihr lang vergessenes Zuhause ist das einzige, was ihnen noch bleibt, weshalb sie sich, jede auf ihre Weise, um Rettung bemühen.

Esther (Julia Jäger), die Älteste, ist nicht nur ihren Job in einer Abbruch-Werft und ihren Ehemann los, sondern hat dazu noch einen missratenen Sohn im Schlepptau: David (Rouven David Israel), schwer adipös, ist ein polizeilich gesuchter Kleinkrimineller, der kleine Kinder „abzieht“. Rahel (Ulrike C. Tscharre) versteht sich zwar auf Mode, aber nicht auf Buchhaltung, weshalb ihre Berliner Karriere als Unternehmerin abrupt endet, und Thirza (Anja Antonowicz) schreibt lieber einen autobiografischen Familienroman als Geld zu verdienen.

Zum Motiv des beruflichen und sozialen Scheiterns, das sich durch die Handlung zieht, gesellt sich Matthiesens beginnende Demenz: In seinen Aussetzern verwechselt er seine auf liebreizende Art vom Leben verrohten Töchter mit seiner Frau Helga. Die plötzliche Fürsorge des weiblichen Nachwuchses lehnt der Macho alten Schlages als übergriffig ab: Wenn schon kaputt gehen, dann als Mann mit erhobenem Haupt.

Leere Flaschen überall

Es gibt durchaus gelungene Momente, die der Drehbuchautor Sathyan Ramesh sicher gegen das Klischee bürstet, etwa die Szene, in der Rahel ihrem in sie verliebten Neffen David mit wenigen Worten und vielsagenden Blicken die Flausen aus dem Kopf treibt. In anderen hingegen fällt Ramesh, der in der romantischen Komödie beheimatet ist („Eine Nacht im Grandhotel“, „Vier sind einer zuviel“), sehr ins Seichte zurück: Am Lagerfeuer beim x-ten Bier gestehen sich die beiden Kumpane Matthiesen und Rantzer Wahrheiten, die sie längst kennen. Die drei Töchter, aus dem gleichen Holz geschnitzt, versammeln sich an anderer Stelle ebenso vor den Flammen, klagen dabei zuerst über die sozialen Härten des durchökonomisierten Lebens, um danach fröhlich anzustoßen und ein Folkliedchen anzustimmen.

In Szenen wie diesen offenbart sich das Dilemma dieser Sozial-Dramedy im Westernlook über „letzte Fragen und Familienwerte“, wie es der Regisseur Titus Selge formuliert: Die erfreulich unaufdringlich in die Handlung eingestreuten Wildwest-Versatzstücke, zu denen ein Bankraubversuch (Matthiesen in einem Moment der geistigen Umnachtung) und eine Kneipenschlägerei gehören, sind zwar lakonisch inszeniert, doch letztlich nur hohle Form. Auch die knappen, präriestraubtrockenen Dialoge, der Mut von Autor und Regisseur, manches ungesagt und Blicke sprechen zu lassen, reichen nicht aus, um ein rundes Ganzes zu formen. Mit der Hof und Familie rettenden Schlusswendung, die in Form einer dementen Alten (Hiltrud Hauschke) deus-ex-machina-ähnlich die Szenerie betritt, sinkt die Komödie endgültig in die Klamotte hinab.

Die Darsteller machen ihre Sache dennoch ordentlich; Matthias Habich gewohnt souverän, doch so vital, schlagfertig und ansehnlich verlottert ist noch kein Trinker daher gekommen. Überhaupt: So penetrant wie pittoresk hier Alkoholismus in Szene gesetzt wird, grenzt an Fahrlässigkeit. Die Einstellungen jedenfalls, in denen keine halb oder ganz leere Schnapsflasche im Bild ist, lassen sich an einer Hand abzählen.

ARD, 20.15