Die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen hält an, bei den jungen Zuschauern laufen Netflix und Amazon längst ARD und ZDF den Rang ab. Wo sieht der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm da noch Perspektiven? In Qualität und regionaler Vielfalt.

Stuttgart - Wo liegt die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen? Wie können sie Glaubwürdigkeit beim Publikum zurückgewinnen? Wie werden sie sparsamer? Ist der Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro pro Monat auf Dauer zu halten? Dazu äußert sich Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks in München und derzeit Vorsitzender der ARD.

 
Herr Wilhelm, nach der Volksabstimmung in der Schweiz über No Billag werden Sie erleichtert gewesen sein. Doch schon kommen schlechte Nachrichten aus Dänemark: Dort stellt der Staat um auf Steuerfinanzierung des Rundfunks und kürzt bei der Gelegenheit die Zuschüsse erheblich. Wie wird sich nun die Debatte in Deutschland entwickeln?
Einerseits erleben wir derzeit in Europa scharfe Angriffe radikaler Parteien auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auf der anderen Seite zeigt die Schweiz, wo die Argumente beider Seiten intensiv aufbereitet worden sind, dass eine breite Bevölkerungsmehrheit unverändert ein großes Vertrauen in den Rundfunk hat. Diese Mehrheit erkennt, welche Bedeutung dem Programm als verbindendem Element in einer Gesellschaft zukommt, in der der digitale öffentliche Raum durch Filterblasen und Echokammern zerfällt und die Polarisierung wächst. Das in einer Demokratie so wichtige Ringen um Konsens kann nur in einer Gesamtöffentlichkeit funktionieren und nicht, wenn jeder in seiner eigenen Welt lebt. Qualitätsmedien wie Zeitungen und unser Hörfunk und Fernsehen sind dafür zentral wichtig.
Der Bestand mag gesichert sein, aber dann auch in Zukunft zu diesem Preis: 17,50 Euro Rundfunkbeitrag pro Haushalt im Monat?
Wir sind natürlich immer nur so stark, wie die Gesellschaft bereit ist, uns zu tragen. Ohne eine Grundakzeptanz können wir nicht existieren. Der Zuspruch des Publikums für unsere Programme ist anhaltend groß, die Nutzung wächst sogar, daher bin ich zuversichtlich, dass die Gesellschaft uns weiterhin stützen wird. Wir bieten ein breites Angebot für alle und bilden in unseren Programmen die regionale Vielfalt unseres Landes ab, sind also nah an den Menschen in den verschiedenen Landesteilen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Netflix oder Amazon, die Serien anbieten, die weltweit gezeigt werden. Uns zeichnet die regionale Identität aus. Und über digitale Angebote wie „funk“, unsere Mediatheken und Apps, erreichen wir verstärkt das junge Publikum.
Stichwort „erreichen“: Sie wollen verstärkt mit dem kritischen Publikum in einen Dialog treten. Wie soll das aussehen?
Wir wollen Türen öffnen, besser erklären, Beschwerden ernst nehmen und – das ist für viele schwer – auch Fehler zugeben. Zeigen wir zum Beispiel ein Bild von Ostdeutschland, das den Verhältnissen gerecht wird? Kommen die Themen des ländlichen Raums ausreichend vor? Haben wir genügend Familienthemen? Wie könnte eine neue Art der Musikvermittlung aussehen? Wir wollen permanent an unserer Qualität arbeiten und den Dialog mit unserem Publikum suchen, das ist ein Schlüssel für die Zukunft. Die Landesrundfunkanstalten setzen gerade in Zeiten von Desinformation auf Transparenz, etwa der SWR, und im BR haben wir gerade unser Informationsradio B5 aktuell eine Woche lang den Hörerinnen und Hörern geöffnet und machen das im Juni in allen Redaktionen.

„Schrumpfen ja – aber sinnvoll“

Ganz schön viele Aufgaben. Derweil wünschen einige Länderregierungen ausdrücklich stärker Einsparungen. Wie können Ihnen schlankere Strukturen gelingen?
Die heutige Struktur mit ARD und ZDF ist politisch gewollt, sie steht für föderale Meinungsvielfalt – dies auch vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen in Deutschland mit einem gleichgeschalteten Rundfunk. Die ARD-Anstalten reformieren sich seit Jahrzehnten und sparen heute mehr als je zuvor. Im BR läuft der größte Umbau und Abbau seiner Geschichte. Die ARD hat tief greifende Vorschläge für mehr Zusammenarbeit in Technik und Verwaltung vorgelegt. Unser Etat sinkt real seit Jahren – und wir werden auch nicht mehr expandieren. Worum es geht, ist ein Ausgleich der Teuerung. Sparen kann man auf kurze Frist nur bei den beweglichen, „freien“ Mitteln. Das heißt im Wesentlichen: beim Programm, und zwar in der Regel beim wertvollen Programm – Dokumentarfilme, Hörspiele, Klassik, Spielfilme. Doch das ginge zu Lasten unseres Publikums, daher warne ich davor. Auch deshalb hat die ARD eine Veränderung des KEF-Verfahrens angeregt, das künftig in Zwölf-Jahres-Perioden denken sollte. So könnte man langfristig in den Blick nehmen, wie wir in einzelnen Bereichen von hohen Personalbeständen herunterkommen: Wie kann man mit besserer Technik und weniger Personal gute Fernseh-, Hörfunk- und Online-Angebote produzieren? Schrumpfen ja – aber sinnvoll und nicht zu Lasten des Programms.
Ist die Forderung, die ARD-Anstalten sollten sich konsequenter auf ihr Regionalgeschäft konzentrieren, wirklich nur deshalb falsch, weil sie auch von der AfD kommt?
Wie groß oder wie klein der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein soll, ist an sich eine legitime Frage. Letztlich hat der Gesetzgeber die Entscheidung, wie der Rundfunk in Deutschland beschaffen sein soll. Dabei sind unter Wahrung der Rundfunkfreiheit die unterschiedlichen Interessen abzuwägen. Und eine deutliche Mehrheit nutzt die Programme täglich und schätzt sie. Gerade die solidarische Finanzierung macht es erst möglich, für die unterschiedlichsten Interessen ein Gesamtpaket in dieser Vielfalt und zu diesem Preis zu liefern. Natürlich werden wir immer überprüfen, ob der Aufwand für bestimmte Sendungen zeitgemäß ist. Oder ob wir ihn sparsamer erbringen könnten. Diese Reformen haben ja längst begonnen.

„Ohne das Erste gibt es keinen Tatort und kein Korrespondenten-Netz mehr“

Eine wirkliche Reform, um den aktuellen Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro halten zu können, hieße doch zum Beispiel: Es gibt nur noch ein großes nationales TV-Programm vom ZDF, das Erste verschwindet, die ARD-Anstalten konzentrieren sich auf ein wirklich qualitativ hochwertiges Landesprogramm – wie es ja übrigens just Ihr Sender mit dem BR Fernsehen bietet!
Wenn die 16 Bundesländer das so wollten, könnten sie es ja angehen. Das Publikum würde sich aber schon fragen, warum gibt es die „Tagesschau“ nicht mehr, warum wird das beste Korrespondenten-Netz Europas aufgegeben, warum sendet die ARD keinen „Tatort“ mehr. Außerdem ist es gerade eine Stärke der ARD, beides zu leisten: Aus der Region für die Region zu senden, aber auch aus den vielen Regionen für ein gemeinsames Hauptprogramm in Deutschland. Die ARD passt besonders gut zu unserem Bundesstaat.
Na ja, das ZDF wäre dann nicht mehr das heutige Zweite, sondern hätte natürlich ein ordentliches Korrespondentennetz, aber nicht mehr mit Doppelt- oder Dreifachbesetzungen in jeder Hauptstadt. Und mit Verlaub, so furchtbar regional ist beispielsweise Ihr ARD-Nachmittag auch nicht: von montags bis freitags erst „Rote Rosen“, dann „Sturm der Liebe“, dann neues aus den deutschen Tierparks.
Mit Verlaub: Vergessen Sie nicht den Wert der Hörfunk-Korrespondenten in den ARD-Studios, die unser Netz so stark machen. Was den Nachmittag betrifft: Ein Programm muss auf seine Zielgruppen zugeschnitten sein. Das Unterhaltungsangebot hat beim Publikum großen Zuspruch, von dem auch unsere Informationsangebote profitieren: Wir beginnen mit dem Mittagsmagazin, haben nahezu stündlich eine Tagesschau und enden mit „Wissen vor Acht“.

„Wir erreichen mit dem Fernsehen jede Woche 80 Prozent der Menschen“

Ist das nicht die Quadratur des Kreises: Ihr müsst alles so machen wie bisher – aber mit weniger Geld? Lässt die Politik, lassen die Ministerpräsidenten der Länder und die Landtage Sie nicht ganz schön allein an der Stelle?
Die ARD erreicht im Fernsehen jede Woche gut 80 Prozent der Menschen, die Hörfunk-Programme zwei Drittel – und solange das so ist und die Qualität nicht in die Knie geht, dass die Leute sagen, für so ein Angebot zahle ich nicht, so lang ist es für die Politik auch schwer, auf den Wunsch von politischen Minderheiten zu reagieren. Die Forderung, sorgsam mit Geld umzugehen, und der Anspruch, die Qualität hoch zu halten, all das ist dagegen völlig berechtigt. Auf die Dauer geht das ohne Teuerungsausgleich aber nicht zusammen.
Immer mehr Zuschauer, vor allem junge, sagen aber schon jetzt, dass sie für den „ganzen Mist“ nicht mehr zahlen wollen, sondern sich bei den Streamingdiensten nur noch das aussuchen, was sie wirklich interessiert.
Diese Haltung wird tatsächlich stärker. Öffentliche Güter – wie etwa das Schulsystem oder der öffentliche Nahverkehr – lassen sich aber nicht nach rein ökonomischen Kriterien bemessen. Beispiel: Hochwertige Hörspiele, Klassikangebote oder ein so breites Korrespondentennetz rechnen sich für kommerzielle Anbieter so nicht. Natürlich ist das Auslandsnetz eine Investition auf Vorrat, aber wenn irgendwo eine Krise beginnt, sind wir nah dran.

„Ich bin nicht der Chef der anderen ARD-Intendanten“

Aber ist das nicht gerade das Problem? Wenn irgendwo der Bürgerkrieg begonnen hat, bekommt Ihr Korrespondent eine Minute Live-Schalte in der „Tagesschau“. Aber wo ist er präsent, wenn es zum Glück in seinem Land ruhig bleibt, er aber trotzdem viele interessante Geschichten zu erzählen hätte? Nur Sonntagabends, bei vierzig Minuten „Weltspiegel“?
Unsere Korrespondenten berichten nicht nur für den „Weltspiegel“, die Tagesschau und die Tagesthemen, sondern auch fürs Morgen-, Mittags- und Nachtmagazin oder die Brennpunkte und sind natürlich auch mit längeren Dokumentationen und Reportagen im Programm, zum Beispiel in den Politikmagazinen. Auch Tagesschau 24, Phoenix, 3 Sat, ARTE sowie die Dritten Programme profitieren von unserem weltweiten Korrespondentennetz. Außerdem dürfen Sie nicht die vielen Radiowellen der ARD vergessen und die Online-Berichterstattung.
Wenn das so wichtig ist, warum wird dafür nicht ordentlich Platz geschaffen just in Ihrem Hautprogramm? Dokus statt Polit-Talk?
Da muss ich bescheiden sagen, kein ARD-Vorsitzender ist der Chef der anderen Intendanten. Ich persönlich würde mir mitunter noch mehr Vielfalt an Formaten im Programm wünschen – weniger Talk, mehr Reportagen und Themenabende. Andere Kollegen sehen das anders, das respektiere ich. Mir wäre aber wichtig, dass wir bei aktuellen Ereignissen, die nicht Breaking News aber dennoch besonders erklärungsbedürftig sind, über „Tagesschau“ und „Brennpunkte“ hinaus noch weitere Flächen und Spielräume schaffen im Programm. Nehmen Sie das aktuelle Beispiel Handelsstreit mit den USA und das Thema „Zölle“: Vielleicht müssen wir, bevor wir unter Experten die neue Handelspolitik des amerikanischen Präsidenten kommentieren, zunächst einmal den Zuschauern darlegen, was „Zölle“ eigentlich genau sind, welche Arten es davon gibt und was sie bewirken. Dies zu erreichen und künftig noch mehr Platz für Hintergründe und Erklärstücke zu schaffen, das ist jedenfalls eine meiner Initiativen als ARD-Vorsitzender.
Das Gespräch führten Joachim Dorfs, Ariane Holzhaus, Christoph Reisinger und Tim Schleider.