Die Sender ARD und ZDF sollen und wollen jünger werden, ohne ihr Stammpublikum zu verlieren. Das ist aber kein einfaches Unterfangen.

Stuttgart - Auf den ersten Blick ist Fernsehen in Deutschland eine Zweiklassengesellschaft: Hier die Privatsender, für die es eine Frage der Existenz ist, junge Zuschauer zu erreichen, weil die Werbekunden bloß für Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren bezahlen; dort ARD und ZDF, die die Menschen über fünfzig versorgen. Prompt monierte kürzlich der Chef der Mainzer Staatskanzlei, Martin Stadelmaier, die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme kümmerten sich zu wenig um die jungen Zuschauer. Er fordert daher einen Jugendkanal.

 

Bei ARD und ZDF hat man die Problematik natürlich auch längst erkannt. Hier sucht man aber eher nach Wegen, die bestehenden Sender für ein jüngeres Publikum attraktiver zu machen. Der ZDF-Fernsehrat hat daher kürzlich einen internen Workshop initiiert, um mit Experten über die Erreichbarkeit von jüngeren Zuschauern zu diskutieren. Dort konnte man lernen, dass keineswegs nur die öffentlich-rechtlichen Vollprogramme vor dieser Herausforderung stehen. 1995 erreichten die fünf erfolgreichsten Sender bei allen Zuschauergruppen einen Marktanteil von über 70 Prozent, heute liegt er knapp über 50 Prozent. Damals empfing ein Haushalt durchschnittlich 24 TV-Programme, heute sind es 77. "Alle großen Sender haben in den letzten 15 Jahren bei Zuschauern zwischen 14 und 49 massiv Marktanteile verloren", so zählt der stellvertretende ZDF-Programmdirektor Reinhold Elschot auf: ARD 34 Prozent, ZDF 30 Prozent, Sat 1 28 Prozent. Selbst das seit je sehr junge Pro Sieben ist mit einem Verlust von 21 Prozent stark betroffen. Einzig RTL steht seit zwei Jahren auch wegen der erfolgreichen "Scripted Reality"-Angebote am Nachmittag mit 10 Prozent wieder relativ gut da.

Stabilisierung der aktuellen Position

ARD und ZDF sind von der Entwicklung ohnehin stärker betroffen: Beide bieten einen hohen Informationsanteil. Weil sich junge Menschen viel weniger für Politik interessierten als ältere, ist es laut Elschot für das ZDF "sehr schwer, in dieser Zielgruppe gravierend größere Marktanteile zu erzielen". Kurzfristiges Ziel sei daher die Stabilisierung der aktuellen Position, langfristig "wollen und sollen wir jünger werden. Aber wir müssen auch Fernsehen für Menschen machen, die sechzig, siebzig und älter sind, schließlich zahlen die ebenso Gebühren wie die Vierzigjährigen."

Es gilt also, junge Zuschauer nicht nur mit Ereignisfernsehen ("Eurovision Song Contest", ARD) zu erreichen, sondern auch mit Alltagsfernsehen. Die ARD schafft das immer wieder mit dem "Tatort" und anderen Fernsehfilmen. Im "Zweiten" erzielen die Samstagskrimis und die Montagsfernsehfilme gute Werte. Erfolge, bei denen auffällig viele Zuschauer unter dreißig erreicht werden, sind allerdings eine zweischneidige Sache. Die vielgelobte ARD-Vorabendserie "Türkisch für Anfänger" zum Beispiel ist laut dem ARD-Programmdirektor Volker Herres "für das Image des Ersten beim jungen Publikum von großer Bedeutung" gewesen, und er hätte ihr mehr Zuschauer gewünscht, aber: "Der Anteil der jungen Altersgruppe am Fernsehpublikum ist eher gering, so dass der Gesamtmarktanteil einstellig ausfiel."

Zu schräg für die Älteren

Reinhold Elschot, der Fernsehfilmchef des ZDF, kennt das Problem: "Wenn ein Film die Menschen über sechzig nicht mehr erreicht, kostet uns das über eine Million Zuschauer." Sein Beispiel ist Lars Beckers Komödie "Schade um das schöne Geld" (2009). Der Provinzkrimi mit Heike Makatsch und Christian Ulmen hatte 5,3 Millionen Zuschauer: 12,2 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen, 13,4 Prozent bei Zuschauern ab 65, ein fataler Wert, denn laut Elschot "liegen Fernsehfilme in dieser Altersgruppe sonst regelmäßig bei über 20 Prozent. Aber für dieses Publikum war der Film offenkundig zu schräg."

Erfahrungen dieser Art machen es fast unmöglich, sich am Geschmack der 14- bis 20-Jährigen zu orientieren: "Würden wir das versuchen, gingen uns die Älteren verloren." Im Rundfunkrat des WDR weiß man das auch. Trotzdem hat das Gremium dem Sender einen klaren Auftrag erteilt. Gespräche mit Jugendverbänden hatten zu dem Ergebnis geführt, das ARD-Programm sei "verstaubt und altbacken"; jüngere Menschen würden das Erste nicht mehr wahrnehmen. Der Team-Worx-Produzent Benjamin Benedict, unter anderem für die Erfolgsfilme "Bis nichts mehr bleibt" (ARD/SWR) und "Schicksalsjahre" (ZDF) verantwortlich, empfiehlt denn auch, "immer alle Altersgruppen erreichen zu wollen".