Das Eis im arktischen Ozean ist den Sommer über nicht so stark geschmolzen wie im vergangenen Jahr. Eine Trendwende ist das aber nicht, betonen Forscher.

Die Eisfläche im Arktischen Ozean ist aktuell nur auf 5,1 Millionen Quadratkilometer abgeschmolzen – damit ist sie um die Hälfte größer geblieben als im vergangenen Jahr. Damals ist ein historischer Niedrigstand von 3,41 Millionen Quadratkilometern gemessen worden.

 

Grund zur Erleichterung sehen die Meereis-Experten vom Alfred-Wegener Instituts (AWI) Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven aber nicht. Trotz der erfreulichen Abweichung nach oben fügen sich die aktuellen Werte nach Ansicht des Physikers Marcel Nicolaus in den Abwärtstrend der vergangenen zehn Jahre ein. „Die Zahlen drücken die natürliche Variabilität aus, die wir von Jahr zu Jahr beobachten“, sagt Nicolaus. Er rechnet mit weiteren Jahren geringer sommerlicher Eisausdehnung. „Die Statistik zeigt, dass auf ein Rekordjahr stets eine kurzfristige Erholung folgt. Daher können Trends nur durch die Betrachtung langer Zeiträume richtig erfasst werden“, sagt Lars Kaleschke vom KlimaCampus der Universität Hamburg. Auch Julienne Stroeve vom National Ice and Snow Data Centre (NISDC) an der Universität von Colorado ist überzeugt, dass es sich Schwankungen handelt, die einen langfristigen Rückgang begleiten. Nicolaus stimmt dem zu. „Wir sehen eine stärkere Variabilität. Sie nimmt zu, weil wir insgesamt auf einem geringen Niveau sind und einen stärkeren Kontrast zwischen dem Eisvolumen im Winter und im Sommer haben.“

Das Volumen nimmt ab

Mitte September hat die Meereisfläche stets das geringste Ausmaß, im März die größte Ausdehnung. Zwischen 1979 und 2000 waren noch durchschnittlich 6,71 Millionen Quadratkilometer des Arktischen Ozeans eisbedeckt. Am 16. September 2012 waren es nach Berechnungen des NISDC aber nur 3,41 Millionen Quadratkilometer, so wenig wie nie zuvor. Die endgültigen Zahlen des Sommers werden in den kommenden Tagen erwartet.

Im Arktischen Ozean sind jetzt größere Flächen im Sommer völlig eisfrei, das im Winter gebildete Eis ist dünner. Im vergangenen Sommer hatten Stürme dazu beigetragen, dass das Eis zerbrach, schmolz oder zusammengeschoben wurde. Dagegen förderten in diesem Sommer Tiefdruckgebiete die Ausdehnung des Eises. Zudem herrschten laut NISDC „relativ kühle Bedingungen“ über dem Ozean.

Die Satellitenaufnahmen zeigen zunächst einmal nur die Eisfläche. Die Wissenschaftler interessieren sich aber auch für das Volumen des Eises. „Wir gehen davon aus, dass das Volumen abnimmt, auch wenn wir es noch nicht quantifizieren können. Wir sehen eine ganz starke Abnahme der Eisdicke. In den 1990-ern war das Eis an den meisten Stellen mehr als zwei Meter dick, in den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir bei ähnlichen Expeditionen festgestellt, dass die Eisdicke häufig nur noch knapp unter einem Meter betrug.“ Die Eisfläche ist wegen des Albedo wichtig, wegen des Rückstrahlvermögens der Oberfläche also. Helle Flächen reflektieren die Sonnenenergie, während die dunkle Ozeanfläche das Sonnenlicht absorbiert und das Wasser stärker erwärmt. „Im gesamtklimatischen Zusammenhang ist besonders das Eisvolumen wichtig. Die Eisdicke hat Einfluss auf die Wechselwirkung zwischen Eis, Atmosphäre und Ozean“, sagt Nicolaus.

Das NISDC machte Anfang September noch eine außergewöhnliche Beobachtung: In der Nähe des Nordpols bildete sich ein großes Loch im Eis, das auf etwa 150 Quadratkilometer geschätzt wird. Im August war lediglich ein Schmelzwasserteich auf dem Eis entdeckt worden, jetzt sei es ein „richtiges Loch“. Kleine Flächen offenen Wassers seien selbst am Nordpol nicht ungewöhnlich, weil die Bewegung des Packeises zu Rissen in der Eisfläche führen könne, erklärt das NISDC. Die jetzige Öffnung auf dem Satellitenbild sei aber viel größer.