Die Türkei hat sei jeher ein besonderes Verhältnis zu Deutschland, sagt Turgut Aslan, als Freund und Verbündeter. Deshalb schmerzten die Vorwürfe, die Türkei habe einen Völkermord an den Armeniern begangen – besonders aus deutschem Mund.

Lokales: Mathias Bury (ury)
Stuttgart – - Turgut Aslan befasst sich seit 30 Jahren mit der Armenien-Frage. Der promovierte Astrophysiker aus Nufringen, der stellvertretender Vorsitzender der europäischen Vereinigung türkischer Akademiker ist, fürchtet: die aktuelle Debatte darüber werde das Verhältnis von Deutschen und Türken beschädigen.
Die Diskussion, ob die Türkei sich eines Genozids an den Armeniern schuldig gemacht hat, sorgt für erheblichen Wirbel in der Politik. Wühlt das Thema auch die türkische Gemeinde in der Region Stuttgart auf?
Das ist der Fall. Die Vorgänge während des Ersten Weltkriegs, der Zusammenbruch des osmanischen Reiches und der Weg in die moderne Türkei sind wichtige Komponenten für das türkische Selbstverständnis.
Gibt es in der türkischen Gemeinschaft eine Mehrheitsmeinung in der Frage?
Die Mehrheitsmeinung ist, dass es kein Völkermord war. Die Türken bestreiten nicht, dass eine Vertreibung stattgefunden und dass es Massaker an Armeniern gegeben hat. Das Leid der Menschen wird anerkannt. Ob es 200 000 oder 1,5 Millionen Opfer waren, ist umstritten. Aber dass man damals das armenische Volk grundlegend vernichten wollte, wird von der großen Mehrheit der Türken bestritten.
Wie erleben die türkischstämmigen Bürger hier die aktuelle Debatte?
Das verletzt sie. Vor allem von den Deutschen, zu denen man immer ein besonderes Verhältnis hatte, erwartet man einen solchen Vorwurf nicht. Deutschland hat bei den Türken immer schon einen sehr hohen Stellenwert gehabt, war immer Freund und Bündnispartner, die ältere Generation hat sich da immer an den Ersten Weltkrieg erinnert. Dass so viele Menschen als Gastarbeiter hierher gekommen sind, weit mehr als nach Frankreich, hat mit dieser Verbundenheit zu tun. Von den Deutschen so in die Ecke gestellt zu werden, schmerzt sehr.
Wird dadurch das Verhältnis der türkischen zu den deutschen Bürgern Schaden nehmen?
Wir haben bereits Diskussionen wegen der Pegida-Bewegung und wegen antiislamischer Einstellungen mancher Deutscher, dazu kommt die Flüchtlingsproblematik, es kommen auch viele Menschen mit muslimischen Hintergrund. Deshalb wird diese Debatte über die Armenien-Gräuel die Lage noch zusätzlich beschweren. Ich befürchte deshalb eine weitergehende Spaltung zwischen der deutsch-türkischen und der deutschen Bevölkerung. Die Fragen stellte Mathias Bury.