Bis zu 1,5 Millionen Armenier starben vor 100 Jahren durch Mord und Vertreibung. Zum Gedenken an diesen Genozid gehört mehr als der Verweis auf türkische Verbrechen, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Wenn die Erinnerung schwindet, hält das Böse die Wunde weiter offen – diesem Leitsatz folgend, bezeichnet Papst Franziskus seit Längerem die systematische Verfolgung der Armenier vor hundert Jahren als „Völkermord“. Die Aufforderung, sich den Grausamkeiten der Vergangenheit zu stellen, darf jedoch nicht nur in Richtung Türkei gelten. Sie muss – gerade in diesem Fall – auch für die Kirchen, auch für die Deutschen gelten. Denn auch sie haben Schuld auf sich geladen.

 

Zum ökumenischen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom hat der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm beispielhaft daran erinnert, dass die evangelische Kirche damals über den Armenier-Genozid genau Bescheid wusste, aber wegschaute und untätig blieb. Bundespräsident Joachim Gauck schilderte, dass deutsche Militärs an der Planung und einige sogar an der Durchführung von Deportationen beteiligt waren. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg hatte 1915 von Berlin aus dekretiert: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“ Es ist notwendig, auch über diese Wahrheiten zu sprechen. Nur wer eigenes Versagen anerkennt, kann andere glaubwürdig ermuntern, die düsteren Seiten seiner Geschichte nicht zu verdrängen.