Armin Hary lief als erster Mensch die 100 Meter in blanken zehn Sekunden – und an diesem Mittwoch feiert er wieder.

Stuttgart - Armin Hary wird diesen Mittwoch 80. Armin wer?, fragen sich jetzt zweifellos viele Zuspätgeborene, dabei hat sich die alte Rakete vor nicht allzu langer Zeit ohne falsche Bescheidenheit trefflich beschrieben: „Auf Asche, mit meinen alten Spikes und vier Zentimeter langen Dornen müsste sich Usain Bolt mächtig anstrengen, um bei seiner Größe und seinem Gewicht unter 10,0 zu kommen.“

 

10,0 – das war Armin Hary.

Der einzige Gegner, den der seinerzeit schnellste Mensch der Welt gefürchtet hätte, war sein Spiegelbild. Hary war kein langweiliger Leisetreter, sondern das glatte Gegenteil – der virtuose Journalist Horst Vetten nannte ihn den schnellsten Angeber der Welt. Dazu passt, dass der Jubilar dieser Tage auf die Geburtstagsfrage der Deutschen Presse-Agentur, ob er seinen Sport auch heute noch verfolge, eher desinteressiert abwinkte: „Ich sehe keine Typen mehr.“

Hary war einer.

Und was für einer. Auf jeden Fall musste der Sieg her, und zwar dalli-dalli, mit Rekord. Der Beste wollte er sein. Der Schnellste. Der Erste. Also rannte Hary als erster Mensch die 100 Meter in blanken zehn Sekunden, und auf besonderen Wunsch lief er die Fabelzeit halt dreimal, bevor sie ihm die Welt endlich abnahm. 1958 in Friedrichshafen hatte die 100-Meter-Bahn neun Millimeter zu viel Gefälle. Beim zweiten Mal, 1960 in Zürich, meldeten die Stoppuhren 10,0 – 10,0 – 9,9 – 9,8, doch nachträglich meinte der Kampfrichter: „Frühstart“.

Der berüchtigte „Blitzstarter“

„Dann lauf’ ich halt noch mal“, sagte Hary, suchte und fand die von der Regel für einen Wiederholungslauf verlangten zwei Gegner (die anderen Läufer hatten das Stadion bereits verlassen), und alle im Letzigrundstadion fragten sich: Will dieser Spinner einen Rekord, den noch kein Mensch auf der Welt gelaufen war, binnen einer halben Stunde gleich zweimal laufen?

Hary wollte. Und machte es wie immer: „Ich habe mich auf den Knall gestürzt wie ein Boxer auf den Gegner.“ Es war 20.15 Uhr am 21. Juni 1960, als der Schuss fiel, und zehn Sekunden später durchriss er das Zielband zur Ewigkeit: 10,0.

Hary, unter den Rivalen berüchtigt als „Blitzstarter“, hatte Nerven wie Drahtseile. Der Sohn eines saarländischen Bergmanns war aus Hartholz geschnitzt und für das Gewinnen geimpft mit Vitamin E: erfolgshungrig, ehrgeizig, eiskalt, eigensinnig. Wegen seiner ungenügenden Untertänigkeit galt er abwechselnd als rasender Flegel, Enfant terrible und Filou auf Spikes. Er hatte Charisma und Chuzpe und war der Coolste unter allen Kaltschnäuzigen auf der Piste. Ende der 1950er Jahre war der Deutsche eine Zeit lang für eine Universität in Kalifornien gelaufen, und seine Körpersprache war schon dort so rotzfrech, dass der Pulitzerpreisträger David Maraniss in seinem späteren Olympiabuch „Rome 1960“ einen US-Trainer mit den vorausschauenden Worten zitiert: „Dieser Kerl wird uns gefährlich.“ Sogar mit James Dean wurde Hary verglichen, dem Aufmüpfigen in „Denn sie wissen nicht, was sie tun“.

Draufgänger und Rebellen

Dafür wissen sie, was sie wollen, diese Draufgänger und Rebellen – und nach dem 10,0 in Zürich will Hary das olympische Gold in Rom. Mit der lässigen Leichtigkeit eines Capri-Urlaubers spaziert er im Sommer 1960 zum 100-Meter-Finale ins Stadio Olympico, mit Cowboyhut und kariertem Hemd, ungerührt verübte er einen Fehlstart, und beim nächsten wäre er weg gewesen – doch es juckt ihn nicht, noch mal riskiert er im Startblock alles und rennt zum Gold. In Puma-Schuhen. Die von Adidas trägt er dafür bei der Siegerehrung, so lohnt es sich doppelt. Hary, der rasende Bruder Leichtfuß (einmal war er wegen falscher Spesenabrechnungen monatelang gesperrt), der Sonnyboy und das Schlitzohr, geschäftstüchtig und pfiffig.

Zum Gold mit der 4x100-Meter-Staffel lief er in Rom dann auch noch. Weltrekord, was sonst. Der Held ist erst 24, als er Schluss macht. Ein Autounfall, schwerer Knieschaden. Als Grundstücksmakler wird er später wegen Beihilfe zur Veruntreuung zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt (der katholischen Kirche sollen drei Millionen Mark abhandengekommen sein), und er zieht sich in Bayern weitgehend ins Privatleben zurück – aber sportlich hinterlässt er eine grandiose Bilanz. Nur drei Sommer lang lief Hary auf der großen Bühne, von 1958 bis 1960, mit der totalen Bilanz in Sprint und Staffel: Doppel-Europameister, Doppel-Olympiasieger, Doppel-Weltrekordler.

Einmal wurde er gefragt: Warum haben Sie nie verloren? Armin Hary dachte kurz nach und sagte: „Selbstbewusstsein war ausreichend vorhanden.“