Der Verwaltungsrat der Stuttgarter Staatstheater hat den Vertrag mit Armin Petras um weitere drei Jahre bis 2021 verlängert. An Petras als Intendanten des Schauspiels festzuhalten, ist eine mutige Entscheidung – und eine fragwürdige dazu.

Stuttgart - Ein Theater ist nur so gut wie sein jeweiliger Chef: Um erfolgreich zu sein, braucht ein Haus eine verantwortungsvolle, teamorientierte, zielstrebige und sowohl logistisch als auch künstlerisch beschlagene Führungsfigur. Personalentscheidungen sind deshalb auch immer Richtungsentscheidungen – und insofern ist das, was der Verwaltungsrat der Staatstheater jenseits des Großthemas Sanierung auf seiner Sitzung am Montag beschlossen hat, von erheblichem Belang. Das Kontrollgremium des größten Dreispartenhauses Europas hat den 2018 auslaufenden Vertrag des Schauspiel-Intendanten Armin Petras um weitere drei Jahre verlängert. Bis 2021 wird der Mann mit der Mütze Stuttgart erhalten bleiben und dann insgesamt acht Jahre am Eckensee residiert haben – just so lange wie sein Vorgänger Hasko Weber, dessen Nachfolge der aus Berlin kommende Petras im Sommer 2013 angetreten hat.

 

Im Theater ist man über diese Entscheidung sehr froh, konnte damit doch eine weitere Personalie unter Dach und Fach gebracht werden. Nachdem im Sommer mit der Verpflichtung von Tamas Detrich als neuer Ballettchef die Zukunft der Tanzsparte gesichert wurde, hat man jetzt also auch fürs Sprechtheater vorgesorgt. Die Staatstheater, bestens gerüstet für die Zukunft, abonniert auf einen Stammplatz im oberen Drittel der Bundesliga – das suggerieren jetzt auch die Verlautbarungen von Stadt und Land zur Petras-Verlängerung. „Armin Petras ist ein künstlerischer Unruheherd, der dem Schauspiel gut zu Gesicht steht. Ungewöhnliche künstlerische Handschriften brauchen Zeit, um sich beim Publikum durchzusetzen. Wir geben ihm bewusst die Zeit, die es braucht, um einem Haus eine eigene Prägung zu geben“, sagte Theresia Bauer, die Kunst- und Wissenschaftsministerin des Landes. Stimmt: Petras braucht noch Zeit, um hier anzukommen. Kaum eine hiesige Theaterpersonalie der vergangenen zwanzig Jahre dürfte umstrittener sein als dieses nun fixierte Weiter-so.

Höchststrafe für einen Intendanten

Nicht nur viele professionelle Theaterkritiker, auch viele leidenschaftliche Theatergänger werden ihre Stirn in Falten legen. Zu viele Flops sind ihnen auf den drei Bühnen des Schauspiels bisher von der Petras-Intendanz serviert worden. Zu viele Zumutungen, zu viele herbe Enttäuschungen, was sich nicht zuletzt am Einbruch der Zuschauerzahlen in der abgelaufenen Saison 2014/15 ablesen lässt. Rund 17 000 Besucher weniger als im Vorjahr und eine Auslastung von nur 78 Prozent – Petras hat mit der an seinem Haus gepflegten Drauflos-Ästhetik ein wesentliches Pfund des Theaters leichtfertig verspielt: das Stammpublikum. Von Friedrich Schirmer einst geduldig herangezogen, von Hasko Weber fürsorglich umhegt, zeigt es dem neuen Hausherrn die kalte Schulter. Theaterfans, die dem Theater die Treue aufkündigen: das ist die Höchststrafe für einen Intendanten.

Dabei hat alles so gut angefangen. Als der umtriebige Theatermann 2013/14 nach Stuttgart kam, hat er das Schauspiel wie im Sturm genommen – und Stadt und Publikum dazu. Ausgehungert von den mageren Sanierungsjahren, labten sich die Zuschauer an der Tollheit von Inszenierungen, mit denen der neue Intendant das Haus auf einen Schlag revitalisierte. Eine unbändige Spiellust war zu spüren, eine komödiantische Spielfreude und Spielwut, deren Energie von der Bühne aufs Parkett übersprang. „Ausverkauft“ hieß es an fast jedem Abend. Das Publikum, auch das besagte Stammpublikum, lag Petras damals zu Füßen. Was für ein Liebesbeweis! Und was für eine Gelegenheit, gemeinsam mit der riesigen Gästeschar abenteuerliche Reisen in die Welt zu unternehmen, um am Ende mit Haut und Haar in Stadt und Region einzutauchen! Der Intendant aber hat auch diese Chancen leichtfertig verspielt. Nachdem er sein aus Übernahmen bestehendes Best-of-Programm abgespult hatte, begann schon in der zweiten Hälfte der Eröffnungssaison die bis heute anhaltende Misere – mit einem häufig abwesenden, weil andernorts inszenierenden Intendanten, der sein Stuttgarter Stammhaus ganz offensichtlich vernachlässigte.

Durchhalten bis Mitternacht?

Das geht nicht. Und es geht gleich zweimal nicht, wenn man wie Petras das Haus ästhetisch auf einen neuen Kurs bringen und an die Avantgarde anschließen will. Weg vom klassischen Erzähltheater mit durchpsychologisierten Figuren in einer linearen Handlung, hin zu performativen Projekten, in denen nichts ist, wie es scheint: Diese Wende zur Postdramatik, die sich alle Nachbarkünste einverleibt, um sie produktiv zu verdauen, scheint der durchreisende Intendant in Stuttgart zu verfolgen. Gegen diese ästhetische Innovation wäre auch nicht das Geringste einzuwenden, wenn die damit verbundenen Risiken beherrschbar blieben. Prinzipiell wären sie das. In Stuttgart aber haben die Kontrollorgane, zu denen auch eine starke Dramaturgie gehören würde, häufig versagt.

„Richard III.“ und „Purpurstaub“, „Antigone“ und „Der Idiot“: das waren die kapitalen, überwiegend von gehypten Jungregisseuren verbrochenen Reinfälle der vergangenen Saison, die sich auf je eigene Weise als Inszenierungen ohne Sinn, Verstand und Form erwiesen haben. Als ebenbürtig, was die Schwächen anlangt, stellte sich auch „Die Möwe“ heraus, mit der die laufende Spielzeit eröffnet wurde – kein Auftakt nach Maß, sondern mit Schrecken, der sich in den folgenden Arbeiten glücklicherweise nicht fortgesetzt hat. Aber auch wenn „Tschewengur“ von Frank Castorf und das „Buch (5 Ingredientes de la Vida)“ von Armin Petras streckenweise sehr sehenswerte Arbeiten sind, werden sie eines kaum schaffen: Sie bringen dem Schauspiel das verlorene Publikum nicht zurück, schon deshalb nicht, weil sich zu ihren durchaus produktiven Überforderungen noch die schiere Dauer des Abends gesellt. Ähnlich wie die zuvor erwähnten Arbeiten weilen auch sie vier, fünf Stunden lang bis kurz vor Mitternacht. Offensichtlich hat es sich im Schauspiel noch nicht herumgesprochen, dass die Woche nicht nur aus Wochenenden besteht – und Stuttgart nicht Berlin-Mitte und keine Bohème-Stadt ist, die jeden Tag ausschlafen kann. Spätestens morgens um sieben klingelt hier der Wecker.

Ein Theater ohne Publikum aber ist kein gutes Theater. Da nützen auch die überregionalen Erfolge nicht, die Armin Petras vorweisen kann: zwei Einladungen zum Berliner Theatertreffen und mit Peter Kurth und Katharina Knap die besten Spieler des vergangenen Jahres. Apropos: am starken Ensemble liegt es nicht, dass das Schauspiel seit einiger Zeit nur matt vor sich hinglänzen kann. Das Potenzial für das obere Drittel der ersten Liga ist noch immer vorhanden. Es muss nur abgerufen werden. Die Bonus-Zeit dafür ist dem Intendanten jetzt zugestanden worden. „Mein Theater hat Stacheln. Ich hoffe, dass sie bald als Dornen gesehen werden können“, sagte er nach der Verwaltungsrats-Sitzung. Wir hoffen das auch. Andernfalls wird mit der Vertragsverlängerung bis 2021 niemand glücklich: nicht Petras, nicht das Theater und schon gar nicht das Stuttgarter Publikum.