In Oprah Winfreys Beichtstuhl bittet Lance Armstrong um Vergebung: „Die Story war lange so perfekt – sie war aber nicht echt.“

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Austin - Es sind fünf kurze Wörter, mit denen Lance Armstrong sein eigenes Denkmal in Stücke haut. Sie fallen in den ersten Sekunden dieses Interviews mit Oprah Winfrey. Lance Armstrong sagt „yes“, „yes“, „yes“, „yes“, „yes“. Es sind seine Antworten auf die ersten fünf Ja-oder-Nein-Fragen im Interview mit der amerikanischen Talkshowkönigin. Mit diesen Fragen steigt Oprah Winfrey ein:

 

Haben Sie verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung genommen? Haben Sie Epo genommen? Haben Sie Eigenblutdoping oder Bluttransfusion genutzt? Haben Sie andere verbotene Substanzen wie Testosteron, Kortison oder Wachstumshormone genommen? Haben Sie bei allen sieben Tour-de-France-Siegen verbotene Substanzen und Eigenblut genommen?

Fünf Volltreffer. Armstrong versenkt.

Bereits am Montag nach der Aufzeichnung war bekannt geworden, dass Armstrong Doping zugegeben hatte – und eigentlich war schon das nicht mehr nötig, um den Mythos Armstrong zu entzaubern: alle Dokumente der Fahnder finden sich im Netz, dort kann jeder das System Armstrong nachlesen. Doch endlich hört man die Wahrheit aus seinem Mund. Es war eine Münchhausen-Legende. „Die Story war so lange so perfekt. Du überlebst diese Krankheit, gewinnst die Tour siebenmal, hast eine glückliche Ehe und Kinder. Das ist eine mystische, perfekte Geschichte. Sie war aber nicht echt“, sagt Armstrong.

Armstrong auf dem Beichtstuhl der Mediengesellschaft

Lance Armstrong sitzt in einem Hotelzimmer in Austin auf dem Beichtstuhl der Mediengesellschaft. Dem Canossa der Neuzeit. Oprah Winfrey. Mit Spannung hatte die Welt, zumindest ein Teil, auf diesen Moment gewartet. Es ist sein erstes Interview, nachdem die US-Antidopingagentur ihn lebenslang wegen Dopings gesperrt hat und dem Texaner alle seine Siege, darunter auch die sieben Erfolge bei der Tour de France, aberkannt worden sind. Der 41-Jährige trägt ein Sakko, ein blaues Hemd, die beiden oberen Knöpfe sind offen. Das Ambiente ist schlicht, zwei Wassergläser, leere Vasen, der ganze Raum in fürchterlichen Brauntönen gehalten. Eine nüchterne Umgebung für die größte Beichtshow der Welt, an der viele verdienen: Oprah Winfrey, Armstrong, „Discovery Communications“: Der Konzern ist nicht nur zu 50 Prozent an Winfreys Sender beteiligt, sondern dem TV-Giganten gehört auch der bekannte „Discovery Channel“, der bei Lance Armstrongs Toursieg 2005 Hauptsponsor des Radrennstalls war.

Armstrong erzählt seine Geschichte. In den meisten Punkten ist sie deckungsgleich mit dem Usada-Bericht. In keinem einzigen geht sie darüber hinaus. Neues erfährt man nicht in Teil eins, die Fortsetzung ging gestern Nacht auf Sendung. Es ist weniger ein Geständnis als vielmehr eine Bestätigungen dessen, was man weiß – und im Gegenteil bestreitet er sogar manches: etwa, dass er Teamkollegen zum Doping genötigt habe; oder dass er dem Radsportweltverband Geld gezahlt habe, um Proben verschwinden zu lassen; oder dass der Arzt Michele Ferrari Mastermind des Dopings in seinem System gewesen sei. „Ich habe Ferrari als guten Menschen angesehen, als klugen Menschen – und mache das immer noch.“ Ferrari, genannt „Dottore Epo“, ist lebenslang wegen Verstrickungen in Dopingmachenschaften gesperrt.

„Dopen war wie Reifen aufpumpen“

In erstaunlicher Offenheit erklärt er, wie selbstverständlich der Betrug für ihn gewesen ist. Und Armstrong rechtfertigt sich mit der beliebten Jan-Ullrich-Doktrin (kein Betrug ohne Betrogene): Es haben doch alle getan. „Dopen war wie Reifen aufpumpen oder Wasser in die Flaschen füllen. Ein Teil des Jobs“, sagt Armstrong. Er nennt es „Waffengleichheit herstellen“.

Es gibt Momente, in denen man glaubt, einen Lance Armstrong zu sehen, wie man ihn nie sah. Verletzlich, angeschlagen, ja fast ängstlich in zusammengekauerter Haltung sitzt der vermeintliche Übermensch da kurzzeitig auf dem Stuhl, speziell dann, wenn per Film alte Aussagen seiner mit Verve und Leidenschaft vorgetragenen Lügen eingespielt werden. Er spricht von Reue und geißelt sich harsch als „charakterschwach“, als „Tyrann“ und „arroganten Sack“. Er sagt: „Ich sehe in den Mienen der Menschen den Zorn über den Verrat, den ich an ihnen begangen habe. Ich werde den Rest des Lebens mit dem Versuch zubringen, Vertrauen zurückzugewinnen und mich bei den Leuten zu entschuldigen.“

Armstrong hat jahrzehntelang gelogen

Lance Armstrong hat Menschen fertig gemacht. Er jahrzehntelang gelogen. Er hat Karrieren beendet. Er hat um sich geschlagen mit allem, was er hatte – und es war viel: Einfluss, Macht, Geld. Das darf man in dieser Stunde nicht vergessen, wo manch einer vielleicht Mitleid hat. Als er nach seiner ehemaligem Betreuerin Emma O’Reilly gefragt wird, die er mit Klagen überzogen und medial mit Dreck beworfen hat, sagt er: „Wir haben so viele Leute verklagt, ich weiß gar nicht mehr, ob sie dabei war.“ Er sei von Ehrgeiz zerfressen – und befinde sich schnell im Angriffsmodus, wenn er bedroht werde. Dieser Typ muss nun den Modus wechseln, was ihm schwer fällt.

Er bittet um Vergebung, er hat Leute angemailt und angerufen, aber es klingt über weite Strecken nicht wie eine tiefe Sehnsucht in ihm nach Absolution oder einer Reinigung seines Gewissens, eher pflichtschuldigst – was man halt so sagt, wenn man versucht zu retten, was zu retten ist. Er verflucht vielmehr den Tag, an dem er die Entscheidung traf, die seiner Meinung nach zu all dem geführt hat: als er 2009 in den Radsport zurückkam und die Dopingdebatte und die Ermittlungen wieder Fahrt aufnahmen. So sagt Armstrong, der betont, bei seinem Comeback sauber gefahren zu sein: „Wir würden hier nicht sitzen, wenn ich nicht zurückgekommen wäre.“