Isabella Schneider hält sich mit Teilzeitjobs und Zuschuss vom Jobcenter über Wasser. 360 Euro hat sie im Monat zur Verfügung. Wie feiert man das Konsumfest Weihnachten, wenn das Geld schon zum Leben kaum reicht?

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Böblingen - Isabella Schneider liebt Weihnachten. Ein Rentier in Blassrosa schmückt ihre Wohnung. Rundherum hat sie Christbaumkugeln drapiert, ebenfalls in verschiedenen Abstufungen von Rosa. Ein Weihnachtsbaum wartet auf das Fest, ein selbst gebastelter Adventskranz steht auf dem Tisch. Sogar auf dem Balkontisch erinnert Weihnachtsschmuck daran, dass Weihnachten bevor steht, so zeigt sie es auf einem Foto. Sie zelebriert dieses Fest, das sich vollständig um Konsum dreht, obwohl sie kaum Geld zur Verfügung hat. Isabella Schneider ist arm.

 

Schneider – 55 Jahre, strahlend blond, bunte Blümchenbluse – kämpft sich seit ihrer Scheidung vor 22 Jahren von Job zu Job. Oft sind sie befristet, derzeit putzt sie 15 Stunden in der Woche in einer Schule in Böblingen. 360 Euro bleiben ihr im Monat nach Abzug der Miete. Wann sie das letzte Mal einen Vollzeitjob hatte, kann sie gar nicht sagen. Oder will sie nicht. „Ich finde beruflich keine Anerkennung“, sagt sie. Um Anerkennung wird es im Gespräch mit ihr immer wieder gehen. Anerkennung, die hat auch etwas mit ihrem Weihnachtsfaible zu tun.

Bloß nie hungrig auf den Weihnachtsmarkt gehen

Schneider liebt die Stimmung im Advent, das Romantische. Sie geht gerne mit Freundinnen auf Weihnachtsmärkte. Sie geht nur sattgegessen dahin, denn einen spontanen Hungeranfall kann sie sich nicht leisten. Nur ein Kinderpunsch ist drin. Sie läuft dann mehrere Stände ab und erkundet, wo er am günstigsten ist. Kürzlich habe sie einen um 1,50 Euro erstanden, sagt sie. Am Heiligabend wird sie sich über das Geld aber wohl weniger Gedanken machen.

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Schneider hat genaue Vorstellungen, wie sie den Abend am 24. Dezember verbringen will. Sie wird sich anziehen, als würde sie ausgehen. Sie wird sich die Geschenke zurecht legen, die sie selbst gekauft hat. Sie wird den Fernseher anmachen und Weihnachtssendungen vom ZDF laufen lassen, „gegen die Stille“, sagt sie. Vielleicht wird sie in die Christmette gehen. Und sie wird allein sein: ohne ihre beiden Geschwister, ohne ihre Söhne, ohne das Enkelchen. Vielen Menschen geht es wie Isabella Schneider. 2,5 Millionen Menschen feiern laut einer Umfrage in Deutschland Weihnachten alleine. Dazu gelten 15,5 Prozent der Deutschen als arm, das sind knapp 13 Millionen Menschen. Aber nicht jeder, der arm ist, ist auch alleine. Und nicht jeder, der alleine feiert, ist auch einsam. „Ich will da in mich gehen“, sagt Schneider über ihren Heiligen Abend allein zu Haus. Und: „Ich möchte nicht von der Familie eingeladen werden.“

2,5 Millionen Deutsche feiern Weihnachten allein

Anerkennung ist auch ein Thema, wenn Isabelle Schneider auf ihre Familie blickt. Ihr Vater sei streng und kalt gewesen, „wie ein Diktator“, sagt Schneider. Und geizig. Als der Friseursalon umzog, in dem sie ihre Ausbildung machte, hat ihr der Vater nicht erlaubt, die Stelle zu behalten. Wegen der höheren Fahrtkosten. Er gab ihr klar zu verstehen, dass ihr Wort nichts zählt.

Mit 21 heiratet sie, sie wohnt mit ihrem Mann und den Söhnen in Freudenstadt. „Der Mann war ähnlich wie der Vater“, sagt sie. Wieder ist sie nicht als das anerkannt worden, was sie ist, sondern als das, was sie sein sollte. Nach zwölf Jahren war die Ehe am Ende. Schneider zog für einen Job bei Ikea nach Böblingen. Dort blieb sie ein Jahr, richtig Fuß fasste sie im Beruf danach aber nie. Mal wurde sie gemobbt, mal bestimmten Führungskräfte über sie, ohne mit ihr zu reden. Anerkennung fand sie auch im Job nicht. Die holt sie sich nun anderswo.

Anerkennung gab es nie

Ihre Wohnung mit Girlanden, Glitzer und Watte als künstlichem Schnee in Weihnachtsstimmung zu tauchen, das will sich Schneider nicht nehmen lassen, auch wenn das Geld knapp ist. Etwa 20 Euro habe sie in diesem Jahr für die Deko ihrer Wohnung ausgegeben. Das Geld dafür spart sie schon mal beim Essen ein, oder sie sammelt Pfandflaschen in der Schule, in der sie putzt, die Schüler rumstehen lassen. Manchmal erhält sie einen kleinen Zuschuss von ihrer 82-jährigen Mutter, wie beim Weihnachtsbaum – zehn Euro bei Aldi. Oder sie kauft lange vorausplanend, wie die Schüssel, aus der sie einen Adventskranz bastelte – ein Euro beim Diskonter, gekauft schon Anfang des Jahres. Danach frage sie ihre Bekannten, wie sie die Deko fänden. „So hole ich mir manchmal von den Leuten Lob“, sagt Schneider, „weil Lob gab es in der Familie nicht.“

Woher kommt die Liebe zur Dekoration? „Ich bin Aszendent Waage, und Waagen lieben schöne Sachen“, sagt Schneider, die sich auch „Deko-Tante“ nennt. Überhaupt spielen die Sterne eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Mistelzweige, unter denen man sich sonst gerne küsst, sollen etwa auch Geld anziehen. Schneider hat einen über ihrer Wohnungstür angebracht. „Ich glaub da dran.“

Die Sterne sagen Schneider ein Glücksjahr voraus

Die Sterne stünden auch gut für ihre Zukunft, sagt Schneider: „Das nächste Jahr soll das Glücksjahr sein.“ Sie nimmt sich eine neue Wohnung und eine neue Partnerschaft für 2020 vor. Ihr größter Wunsch ist aber ein neuer Job. Vor kurzem hat sie sich auf eine Vollzeitstelle in einem Feinkostladen beworben. Sie sagt, eine Zusage wäre ihr größtes Weihnachtsgeschenk, und der Schlüssel zu einem besseren Leben. Denn im Gespräch wird klar, wirklich alleine sein will sie zu Weihnachten nicht. Isabella Schneiders Enkel ist zwei Jahre alt. Zwei Mal hat sie ihn bisher gesehen. Das sei nicht so toll, sagt sie und wird still, ihre Unterlippe zittert dabei. Die 21 Euro für eine Fahrt nach Offenburg, wo ihr Sohn mit seiner Familie wohnt, sind gerade nicht drin.

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Aber das ihrem Sohn direkt zu sagen, „ist mir auch ein bisschen peinlich“, sagt Schneider. Sie hofft, dass sie sich zu Weihnachten irgendwie sehen können. Am Weihnachtsfeiertag wird sie nun von ihren Nachbarn eingeladen, am 26. Dezember wird sie ihre Schwester besuchen, das gibt ihr Budget gerade noch her. „Das freut mich richtig, dann bin ich nicht einsam“, sagt Isabella Schneider.