Die Landesarmutskonferenz und die Diakonie Württemberg warnen zum Internationalen Tag der Armutsbekämpfung: Hohe Energiepreise drücken viele Menschen an den Rand.

Die Diakonie in Württemberg hat am Freitag dazu aufgerufen, sich gegen die „Verfestigung von Armut“ einzusetzen. Einen ähnlichen Appell erhob die baden-württembergische Landesarmutskonferenz, ein Zusammenschluss von Sozialexperten und Betroffenen. Die Coronapandemie, die Energiekrise und der Anstieg der Lebenshaltungskosten bringe auch Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen in Armut, teilte das kirchliche Hilfswerk zum Tag für die Beseitigung von Armut am 17. Oktober mit. Die Folge seien Resignation, Scham, Hilflosigkeit und Zukunftsangst.

 

Angst vor einer Stromsperre

Annette Noller, Vorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, verlangt von der Politik Moratorien für Energiesperren sowie Mietpreisbremsen. Es sei erschreckend, wie viele Menschen von Tafeln abhängig seien. Auch der Mittelstand sei nun „massiv von den hohen Preisen betroffen“, sagte Roland Saurer, Sprecher der Landesarmutskonferenz, unserer Zeitung. „Mögliche Stromsperren wegen nicht beglichener Rechnung werden von kinderreichen Familien und mittellosen Älteren als äußerst bedrohlich empfunden.“ Viele Menschen würden jetzt bereits mit Pullovern in kalten Wohnungen sitzen, aus Angst vor hohen Nachzahlungen. „Das ist eine Art vorauseilender Gehorsam.“ Saurer forderte vom Land einen Solidarfonds, mit dem die Übernahme von Energieschulden beglichen werden könne. Stromkosten müssen auch Hartz-IV-Empfänger tragen, Heizkosten werden übernommen, insofern sie „angemessen“ sind. Das lässt den Ämtern Spielraum für Entscheidungen – und Betroffene derzeit im Ungewissen.

Mehr Wohngeldempfänger ab 2023

Fakt ist, dass eine Wohngeldreform den Kreis der Anspruchsberechtigten auf zwei Millionen Menschen erweitert soll. Auch sie hätten Anspruch auf Übernahme der Heizkosten. Die Reform greift aber erst 2023. Die Landesarmutskonferenz hat selbst ermittelt, wie sich von März bis Juni die Lebensmittelpreise im Geldbeutel auswirkten. „Wir haben außer Fleisch, Brot und Gemüse alle Produkte untersucht. Wir kamen bei einigen auf Spitzenwerte einer Teuerung um 40 Prozent, im Schnitt lag sie bei 25 bis 30 Prozent“, sagt Saurer. Haroldo Widmann (64) ist Empfänger von Grundsicherung und erhält 449 Euro im Monat. Der Delegierte der Landesarmutskonferenz schildert, wie er mit dem Preisdruck lebt: „Mein Etat für Essen beträgt 35 Euro in der Woche. Ich kaufe nur Produkte mit Rabattaufklebern.“ Er habe noch kein einziges Mal die Heizung eingeschaltet. Derzeit zahle er 19 Euro für Strom, aber sein Anbieter habe den Vertrag für November gekündigt. Er befürchte nach Internetrecherchen, danach 50 Euro zahlen zu müssen. Widmann lebt auf dem Land, sein einziger Luxus sei ein kleines Auto. Das muss er theoretisch finanzieren aus den 36 Euro, die im Regelsatz für Mobilität eingeplant sind. „Ich tanke, wenn mal 20 Euro übrig sind.“

Laut Sozialministerium ist der Anteil der Menschen unter der Armutslinie an der Bevölkerung im Südwesten von 14,5 Prozent 2011 auf 16,4 Prozent 2021 gestiegen.