In seinem jüngsten Roman erforscht Arno Geiger erneut ein Lebensalter und porträtiert einen 22-jährigen Studenten der Tiermedizin in Liebeswirren. Die StZ-Kritikerin Julia Schröder hat „Selbstporträt mit Flusspferd“ gelesen.

Stuttgart - Die schöne Jugendzeit ist vielleicht gar nicht so schön, wenn man sich mittendrin befindet. „Niemand mag dich, wenn du zweiundzwanzig bist”, sagt Julian zu seiner frisch von ihm getrennten Freundin Judith, und der Held und Ich-Erzähler von Arno Geigers neuem Roman „Selbstporträt mit Flusspferd“ meint damit nicht nur seine düsteren Aussichten in erotischer Hinsicht. Die Welt und der eigene Platz darin, alles wird ihm immer verwirrender, die Zukunftsgewissheit schwindet, anstatt zuzunehmen. Dabei wollte er doch nie etwas anderes als erwachsen werden. Nun muss er sich anhören, dass ihm „ja noch die Eierschalen am Kopf“ klebten. Nicht zuletzt von Aiko, in die er sich verliebt, obwohl oder weil sie ein bisschen seltsam ist und fünf Jahre älter als er. Ihm scheint sie meilenweit voraus.

 

Mit den bewaffneten Augen des Lesers gesehen, ist Aiko zwar älter als Julian, aber sie ist mindestens so sehr auf der Suche wie er. Es ist das einundzwanzigste Jahrhundert, der Ort Mitteleuropa. Und die Zeiten, da man dort mit Anfang zwanzig im Hinblick aufs Leben volle Geschäftsfähigkeit erreicht hat, sind lang vorbei.

Am Handy herumdrücken, statt einander anzuschauen

Wie auch anders? Klar, die „jungen Leute“, wie ein alter Mann sie nennt, wollen nicht spießig wie die Eltern sein und sich zu früh festlegen, sie sind verwöhnt oder wohlstandsverwahrlost oder beides, sie drücken auf ihren Handys herum, anstatt einander in die Augen zu sehen, und vor allem wollen sie cool sein. Arno Geiger erinnert daran, dass dieses Ausweichverhalten, eine Art verlängerte Pubertät, auch eine Antwort auf die herrschenden Zustände ist.

Im Sommer 2004, da Geiger seinen Vorarlberger Studenten der Tiermedizin durch ein staubiges, in mancherlei Hinsicht erhitztes Wien taumeln lässt, vergeht kaum ein Tag ohne Schreckensmeldung von irgendwoher auf dem Globus: In Israel sprengt ein Selbstmordattentäter einen Bus voller Passagiere in die Luft, an der Küste von Fuerteventura strandet nach einem Nato-Manöver ein Dutzend Wale, dazu die alarmierende Klimaerwärmung. Und am 1. September die schwärzeste denkbare Untat, der Terroristenüberfall auf die Schule im nordossetischen Beslan, bei deren Erstürmung am Ende mehr als 300 Kinder getötet wurden.