Im Dritten Reich wurden Wissenschaftler und Mediziner zu Komplizen der Massenmörder. Die Arte-Doku „Blut und Boden – Naziwissenschaft“ erzählt von grausamen Menschenversuchen, vor allem aber vom Verbiegen der Wahrheit zugunsten der Herrenmenschen-Ideologie.

Stuttgart - Wer sich für die Merowinger interessiert, für ein im 8. Jahrhundert nach Christi Geburt in der Bedeutungslosigkeit versunkenes Königsgeschlecht der Franken, der ist auf liebenswerte Weise verschroben, zumindest jedenfalls: komplett aus der Gegenwart gefallen. Könnte man meinen. Der 1985 verstorbene Peter Paulsen, seit 1961 Konservator am Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart, hat sich bis weit in seinen Ruhestand hinein sehr für die Merowinger interessiert. Sieht man sich jenen Teil seiner Karriere an, den er später nicht mehr vor sich hertrug, keimt der Verdacht, Paulsens Forschungen seien vielleicht gar nicht so gegenwartsvergessen gewesen.

 

Paulsen war einst ein Karriereakademiker der SS, Leiter der Germanischen Führerschule in Hildesheim, zuvor Dozent an der SS-Junkerschule Bad Tölz und davor Leiter des Sonderkommandos Paulsen, das in Polen in großem Umfang Kunstschätze geplündert hatte. Rückführung germanischen Kulturguts nannte man das.

Verquere Forschungen

Paulsens Raubaktion war aber kein Teil jener Selbstbereicherung der braunen Bonzen, die etwa der raffgierige Hermann Göring praktizierte. Paulsens Plünderung diente einem verqueren wissenschaftlichen Interesse: jenen ideologieverblendeten Forschungen, die beweisen sollten, dass jede große Kulturleistung der Menschheit den Ariern zu verdanken und Nordeuropa die Wiege der Zivilisation sei.

An diesen oft in den Hintergrund rückenden Aspekt des Tausendjährigen Reiches erinnert die Dokumentation „Blut und Boden – Naziwissenschaft“, die einen Themenabend auf Arte eröffnet, gefolgt von Catherine Bernsteins Dokumentation „Fritz Bauer – Generalstaatsanwalt. Nazijäger“ und Jen Dunbars Dokumentation „Drei Tage im Juni 1944“ über die alliierte Landeoperation in der Normandie.

Rassenwahn und Lügen

David Korn-Brzozas „Blut und Boden“ erzählt zum einen von einer Wissenschaft, die alle Regeln und Fesseln der Humanität abgestreift hat und deren Vertreter quälende und meist tödliche Experimente an wehrlosen KZ-Häftlingen durchführten. Zum anderen aber gilt Korn-Brzozas Augenmerk jenen Gelehrten, die Fakten verbogen, Spinnereien zu Wahrheiten erhoben und sich eifrig bemühten, Rassenwahn und Herrenmenschen-Ideologie mit Pseudowissenschaft zu unterfüttern. Hier wurde die Verdrängung der Wahrheit durch die Lüge und der Skepsis durch die Hetze betrieben, lange bevor der Ausdruck „Fake-News“ aufkam – und das auch noch im Zentrum des kritisch nachfragenden Geistes, an den Universitäten.

Immerhin, für besonders groteske Projekte hatte Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, gleich eine eigene Institution gegründet, die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe. Hier fanden die Verzerrung der Historie im Dienste der Naziideologie und der Wahnsinn blutbesudelter Schwadroneure besonders barrierefrei zueinander. So sollte etwa einerseits bewiesen werden, dass die germanischen Runen (deren älteste Zeugnisse aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammen) die erste Schrift der Menschheit waren, älter als alles aus Mesopotamien.

Thors Hammer

Und andererseits sollte eine mythologische Götterwaffe gesucht werden, Thors Hammer. Himmler war überzeugt, es handle sich dabei um eine altgermanische Superwaffe, die dank früher arischer Megatechnologie auf eine auch im 20. Jahrhundert noch nicht wieder fassbare Weise elektrische Kräfte genutzt habe. Wenn sich die Nazis in Hollywoodfilmen wie der „Indiana Jones“-Reihe okkulte Artefakte und Mächte dienstbar machen wollen, ist das von der Wirklichkeit gar nicht so weit entfernt.

„Blut und Boden“ ist kein Dokumentarfilm über ein fernes Damals. Er ist ein Weckruf im Hier und Jetzt, eine Warnung, dass Ideologen, Populisten und Hetzer nicht nur zu jeder Verdrehung bereit sind, sondern dabei stets auch ein paar Karrieristen im Expertentalar finden, die ihnen Schützenhilfe leisten.

Ausstrahlung: Arte, Dienstag, 28. Mai 2019, 20.15 Uhr, und Freitag, 7. Juni 2019, 9.40 Uhr. In der Mediathek des Senders bis zum 27. Juli 2019.