Whistleblower aus der Schweiz: Der Dokumentarfilm „Falciani und der Bankenskandal“ rekonstruiert die“Swissleaks“-Affäre um die HSBC-Bank.

Stuttgart - Die Schweiz ist immer noch hinter ihm her: Hervé Falciani, 43, ein Informatiker mit französischem und italienischem Pass, kopierte als Angestellter der HSBC-Bank in Genf Daten von mehr als 100 000 privaten Nummernkonten und stellte diese 2008 zuerst den französischen Behörden zur Verfügung. Als „Swissleaks“ machte die Affäre Schlagzeilen. Dabei ging es um gewaltige Summen, um mehr als 75 Milliarden Euro, die den Steuerbehörden in 200 Ländern mutmaßlich verschwiegen wurden. „Ich habe gegen eine Regel verstoßen – aber im Bewusstsein, dass diese Regel gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt“, rechtfertigt der Whistleblower seinen Datenklau in dem Dokumentarfilm „Falciani und der Bankenskandal“, der an diesem Dienstag bei Arte seine Fernsehpremiere hat. Der vom Südwestrundfunk (SWR) und anderen Sendern, darunter dem Schweizer Fernsehen (SRF), koproduzierte Film des britischen Autors Ben Lewis erzählt Falcianis Geschichte als eine Art Katz-und-Maus-Spiel mit den Schweizer Behörden.

 

Zugleich wird „Swissleaks“ gründlich eingeordnet, wird der Kampf gegen Steuerhinterziehung nach der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 bis in die Gegenwart nachvollzogen. Immer wieder verzahnt Lewis die persönliche Geschichte mit globaler Politik, kombiniert informative Recherche und Hintergrundwissen mit dem spannenden Tauziehen zwischen den beteiligten Staaten um die Person Falciani.

Der Autor scheint nicht recht schlau zu werden aus seinem wichtigsten Protagonisten, doch Lewis tut das, was am überzeugendsten ist: er gibt dem Publikum keine Deutung vor, der Whistleblower bleibt eine widersprüchliche Figur. Allerdings wäre es angebracht gewesen zu erzählen, wie die Geschichte für Falcianis ehemalige Partnerin Georgina Mikhael ausgegangen ist, die ihren Ex im Film als „geborenen Manipulator“ bezeichnet.

Haben sich Falcianis Informationen ausgezahlt?

Ben Lewis hat auch versucht herauszufinden, ob sich Falcianis Informationen ausgezahlt haben. Die Bilanz ist vergleichsweise bescheiden: Frankreich verbuchte mit immerhin 300 Millionen Euro Einnahmen aus Steuern und Bußgeldern den dicksten Batzen, aber nur fünf der 9187 Personen auf Falcianis Liste wurden strafrechtlich verfolgt.

Welche Erträge Deutschland mit den von Frankreich weitergegebenen Daten erzielen konnte, ist unbekannt. Vier Milliarden Euro an „verborgenem Geld“ lagerten auf HSBC-Konten, beiseite geschafft von 2100 Personen aus Deutschland. „Das sind alles Leute aus der oberen Etage“, sagt Peer Steinbrück (SPD), der einst als Finanzminister die Kavallerie in die Schweiz schicken wollte, um den Steuerhinterziehern und ihren eidgenössischen Helfern das Handwerk zu legen. Aber nicht die „Swissleaks“-Enthüllungen von Falciani, auch nicht die fleißige CD-Einkaufstour deutscher Geheimdienste und Finanzbehörden und schon gar nicht die deutsche Kavallerie haben Steueroasen wie die Schweiz und Liechtenstein zum Einlenken gebracht, sondern die handfesten Drohungen der US-Regierung von Präsident Barack Obama. „Das waren diejenigen, die uns tatsächlich in Schwierigkeiten gebracht haben“, sagt Hans-Rudolf Merz, Schweizer Finanzminister von 2004 bis 2010.

Dass Lewis die Schweizer Perspektive mit hochrangigen Zeitzeugen wie Merz spiegeln kann, ist eine besondere Stärke des Films. Zwar haben sich neben der Schweiz auch Staaten wie Liechtenstein auf Druck vor allem der USA vom Bankgeheimnis weitgehend verabschiedet, aber dass damit Steuerhinterziehung aus der Welt geschafft wäre, glauben wohl nur Gutgläubige. Im Film hat Merz dafür ein schönes Sprach-Bild parat: „Das Geld ist wie Wasser. Es fließt überall dorthin, wo es Ritzen hat.“

Und Falciani? Einmal, im Dezember 2008, hatten ihn die Eidgenossen schon, doch weil sie Falciani nicht sofort in Untersuchungshaft steckten, setzte der sich nach Frankreich ab. 2012 wurde der international gesuchte Whistleblower dann in Barcelona verhaftet, er blieb mehr als fünf Monate in U-Haft – und arbeitete schließlich mit den spanischen Behörden zusammen. Die stellten ihn unter Polizeischutz und lehnten einen Auslieferungsantrag der Schweiz ab. Falciani kandidierte als Mitglied der spanischen Antikorruptionspartei Partido X fürs Europaparlament, scheiterte aber. Das registrierten die Schweizer Strafverfolger mit Genugtuung, denn die juristische Immunität eines Abgeordneten hätte Falciani geschützt. „Ich werde ihn vor Gericht zu bringen versuchen, mit hoffentlich auch einer Verurteilung wegen verbotenen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes“, sagt der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber im nüchternen Juristentonfall.