Nichts für schwache Nerven: Die Krimiserie „Lilyhammer“ ist die erste Eigenproduktion des Internetanbieters Netflix. Jetzt zeigt Arte die erste Staffel.

Stuttgart - Was passiert, wenn man zwei sehr, sehr unterschiedliche Genres mixt: New-Yorker Mafiathriller mit norwegischer Kleinstadtgeschichte zum Beispiel? Das mögen sich die Produzenten der Krimiserie „Lilyhammer“ gedacht haben, als sie sich daranmachten, die Geschichte von Frank „The Fixer“ Tagliano zu erzählen. Das ehemalige Mitglied eines amerikanischen Clans sagt in einem Prozess gegen seinen ehemaligen Boss aus, kommt daraufhin in ein Zeugenschutzprogramm, muss aus den Staaten verschwinden und entscheidet sich, unter dem neuen Namen Giovanni Henriksen nach „Lilyhammer“, wie er das ausspricht, umzuziehen, weil ihm die norwegische Kleinstadt bei der Übertragung der Olympischen Winterspiele 1994 im Fernsehen so gut gefallen hatte.

 

Doch das ist lange her, Schnee ist in Wirklichkeit sehr viel kälter als auf dem Bildschirm – und Lillehammer nicht unbedingt so voller „super Stimmung und schöner Frauen“, wie sich der über Sechzigjährige das vorgestellt hat. Gespielt wird Tagliano von Steven Van Zandt, seit seinen Auftritten als Mafioso Silvio Dante in „Die Sopranos“ ein berühmter Darsteller, eigentlich aber Gitarrist in Bruce Springsteens E-Street-Band oder unter dem Namen Little Steven als Solomusiker unterwegs. Seine ebenso schmierige wie seltsam liebenswürdige Figur, die mal einem Rentner die Mütze vor einem randalierenden Jugendlichen rettet und im nächsten Atemzug seine neuen Landsleute mit den fiesesten Tricks der Korruption bekannt macht, erschafft er inzwischen selbst mit: Er ist bei „Lilyhammer“ auch noch als Co-Autor, Produzent und Komponist tätig.

Dieses Maß an kreativer Freiheit, das man, je nach Veranlagung, auch als anarchische Unkontrolliertheit begreifen kann, existiert vor allem deshalb, weil die Dramedy die erste Eigenproduktion des Video-on-Demand-Anbieters Netflix aus dem kalifornischen Los Gatos ist. Sie wurde, ohne den störenden Einfluss besorgter Fernsehredakteure oder gar -redakteurinnen, von Rubicon TV AS entwickelt, unter Beteiligung der Münchner Seven One Media, der Rechtehandels- und Vermarktungstochter des Medienkonzerns Pro Sieben Sat 1 und in Zusammenarbeit mit der staatlichen norwegischen Rundfunkanstalt NRK.

Nichts für Menschen mit schwachen Nerven

Als man „Lilyhammer“ Anfang 2012 bei NRK 1 sendete, sah sich fast ein Fünftel der norwegischen Bevölkerung an, wie ein kleingewachsener, hemmungsloser Amerikaner ihr abgelegenes, zivilisiertes Land aufmischte, eine junge Blonde schwängerte, maskulin wirkende Polizeichefinnen übertölpelte und dabei jede Menge politisch unkorrekter Sätze sagte wie „Diese Tussis sind ja schon jenseits der Menopause“. In den USA waren kurz darauf die acht ersten Folgen für Netflix-Abonnenten im Internet abrufbar. Damit war ein neues Prinzip geboren, das unter anderem Kevin Spaceys mit Netflix realisierte Politfarce „House of Cards“ sowie die Kultserie „Orange ist the new black“ ermöglichte und damit eine TV-Revolution in Gang setzte, deren Auswirkungen sich langsam auch in Deutschland zeigen.

Hier nun hat sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit Arte sehr zeitig die Rechte an „Lilyhammer“ gesichert, und strahlt an vier Donnerstagen zur Prime-Time jeweils zwei 45-minütige Episoden aus. Es wird da mit sehr viel schwarzem Humor unter anderem um „kulturelle Unterschiede“, so der Titel der ersten Folge, gehen, um in der Öffentlichkeit stillende Frauen etwa, um Integrationskurse, Anti-Terror-Einsätze während eines traditionellen Skirennens und ein umstrittenes Immobiliengroßprojekt. Giovanni wird den Nachtclub „Flamingo“ eröffnen, die örtlichen Ordnungsbehörden gegen sich aufbringen, und schließlich recherchiert ein wegen ihm suspendierter Polizist während einer USA-Reise, was der geschäftstüchtige Einwanderer in seiner alten Heimat eigentlich so getrieben hat.

Wenn dann Giovannis alte Mafiakollegen die Reise nach Europa antreten, um sich an dem Verräter blutig zu rächen, bleibt im Land der Trolle fast nichts mehr, wie es war. Nichts für Moralisten oder Menschen mit schwachen Nerven also, wie auch die anderen Netflix-Serien, gestrickt von großen Jungs für große Jungs. Für Abonnenten des Internetanbieters ist vom 21. November an schon die dritte Staffel „Lilyhammer“ abrufbar, Steven Van Zandt führt dann bei der letzten Folge auch noch Regie. Außerdem wird sein früherer musikalischer „Boss“ zum ersten Mal seine schauspielerischen Fähigkeiten erproben: Bruce Springsteen ist als Besitzer einer Leichenhalle zu sehen.