Artenschutz in den USA Die Kaktus-Cops von Arizona

Ranger Ray O’Neal neben einem der von ihm zu schützenden Saguaro-Kakteen. Foto: Stefan Wagner

Kandelaber-Kakteen sind Symbole für den Wilden Westen. Sie sind so bekannt, dass spezielle Sheriffs sie vor Dieben und Zerstörungswütigen schützen müssen.

Tucson - Es sind Tage wie diese, an denen Ray O’Neil (58) am liebsten im Pick-up sitzen bleiben würde. Drei grüne Zahlen auf dem Display: 101 Grad Fahrenheit, das sind 38 Grad Celsius. Keine Wolke am Himmel. Seufzend schwingt sich der massige Mann aus seinem klimatisierten Wagen und geht langsam den Highway entlang. Auf O’Neils Uniformhemd bilden sich rasch Schweißflecken. Abrupt bleibt er stehen. „Hier muss es sein.“ Ein paar Meter neben der Straße klaffen zwei Löcher im steinigen Boden.

 

O’Neil, Chef-Ranger des Saguaro National Park bei Tucson im Süden von Arizona, geht in die Hocke und starrt auf den Boden. Keine Reifenspuren, kein weggeworfenes Werkzeug. Nichts. „Verdammt, die Kakteen waren noch nicht markiert.“ Ein Rennradfahrer hatte die Löcher am Straßenrand gemeldet. Wieder einmal haben Kaktusdiebe in seinem Park zugeschlagen. Als Chef des Nationalparks ist O’Neil der Schutzengel der Kandelaber-Kakteen, wie die Saguaros auf Deutsch auch genannt werden: Zerstörungswütige, der Klimawandel und Diebe bedrohen diese Symbole des Wilden Westens.

Ihre Popularität kostet viele der Kakteen ihr Leben

Saguaros sind die Supermodels des US-Südwestens. Mit den armartigen Ästen wirken sie wie Menschen, die auf den „Hände hoch!“-Ruf eines Revolverhelden reagieren. Von den etwa 1500 Kakteenarten weltweit sind sie die bekanntesten. Bittet man jemanden, einen Kaktus zu zeichnen, so bringt er mit großer Sicherheit die Umrisse eines Saguaros zu Papier. „Ihre Popularität kostet viele der Kakteen ihr Leben“, sagt O’Neil. Diebe – der Ranger nennt sie „Wilderer“ – versuchen vom Kaktusboom zu profitieren. Gut gewachsene zwei Meter hohe Pflanzen werden für 1000 bis 1500 Dollar in Internetforen angeboten, Prachtexemplare mit acht bis zehn Meter Höhe kosten bis zu 20 000 Dollar. Nur etwa zehn Prozent der gestohlenen Kakteen überleben, meist beschädigen die Täter die Wurzeln beim Ausgraben.

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An einer Rechtskurve bleibt O’Neil stehen. Er geht auf einen mannshohen Saguaro zu. Aus dem Rucksack zieht er ein kleines, gelbes Gerät, es sieht aus wie eine Spielzeugpistole. Er schießt einen Chip in das Fleisch des Kaktus. „Geschafft“, sagt er. Zur Kontrolle fährt der Ranger mit einem Lesegerät über den implantierten Chip. Es piept und zeigt eine Zahl an: 154442667198876. Dann geht er zum nächsten Saguaro. „Wir haben Tausende gefährdete Kakteen mit Chips ausgestattet. Werden sie geklaut, können wir sie identifizieren und die Täter überführen.“

Es gibt einen riesigen Schwarzmarkt für Kakteen

Scott Schade steht in einer Baumschule am Rande von Tucson. Er trägt einen Sheriffstern, der an einer Metallkette um seinen Hals hängt. „Investigator 272“ steht darauf. Scott Schade ist 61, Ex-Pilot, Ex-Highway-Polizist, seit sieben Jahren „Cactus Cop“, der einzige Kaktuspolizist im Süden Arizonas. „Eigentlich ist es ein aussichtsloser Job“, erzählt er, während er Hunderte Pflanzregale mit fingerhohen Kakteen inspiziert. „Ich bin für mehrere Tausend Quadratkilometer zuständig. Man bräuchte da ein Dutzend Ermittler.“ Er zuckt mit der Schulter.

„Es gibt einen riesigen Schwarzmarkt für Kakteen“, erzählt Schade und blickt auf die Etiketten an den Kakteen, die belegen, dass sie rechtmäßig registriert sind. „Immer wieder heben wir Schmugglerringe aus, oft Asiaten und Europäer, die Kakteen stehlen und außer Landes bringen.“ In den USA sind es vor allem Hausbesitzer, die den illegalen Handel beflügeln. „Kein Multimillionär in Las Vegas hat Lust, einen daumengroßen Saguaro vor seine neu gebaute Villa zu pflanzen und dann 80 Jahre zu warten, bis er groß ist und cool aussieht.“

Stammesangehörige haben das Recht, Saguaro-Früchte zu ernten

Meist ist Schade allein unterwegs. Patrouillengänge in der Wüste, Auf-der-Lauer-Liegen an bekannten Diebstahlorten, Zufallstreffer. „Fotofallen zur Tierbeobachtung, Berichte von Bürgern über Kakteen in Nachbargärten. Es ist verrückt, wie ich Wilderer manchmal aufspüre.“ Wie viele Täter er gestellt hat, sagt Schade nicht. Undercover-Cop-Geheimnis. Die Hauptaktivität ist nachts, da ist Schade mit kugelsicherer Weste und Nachtsichtgerät im Einsatz.

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In einem entlegenen Teil des Saguaro-Nationalparks hat unterdessen Tanisha Tucker ihre Hände in einen Plastikeimer mit Fruchtfleisch getunkt. Es sieht aus wie sehr dickflüssiges Blut. Hier verarbeitet Tucker die Früchte der Saguaros zu Sirup und Marmelade. Tucker (40) gehört dem Stamm der Tohono O’odham an, den „Wüstenmenschen“. Nur Stammesangehörige haben das Recht, Saguaro-Früchte zu ernten. „Kaktusräuber verletzen unser Volk“, sagt sie. „Das ist respektlos. Für uns kommt der Diebstahl eines Saguaro der Entführung oder dem Mord an einem Familienmitglied nahe.“ Tucker blickt auf die Kakteen, die um ihre Hütte stehen wie eine Gruppe von Freunden. „Diese Wesen sind größer und mächtiger als wir.“

Saguaro-Kakteen: Wunder der Entschleunigung

Spätentwickler
Die bei Wilderern so beliebten Saguaro-Kakteen haben ein Problem: Sie wachsen extrem langsam, in ihren ersten zehn Jahren gerade mal vier bis fünf Zentimeter. Vielen Fans der Gewächse fehlt die Geduld. Sie wollen möglichst schnell möglichst große Kakteen in ihren Gärten sehen. Erst mit etwa 60 Jahren blühen die Wüstenpflanzen, die „Arme“ genannten Äste erscheinen mit 70 Jahren Lebensalter. Die ältesten Exemplare werden mehr als 200 Jahre alt und erreichen bis zu 20 Meter Höhe.

Wasserspeicher
Ein Zehn-Meter-Kaktus, vollgesogen mit Wasser, wiegt bis zu zwei Tonnen. Ein ausgewachsener Kaktus kann bei einem Starkregen bis zu 700 Liter Wasser aus dem Boden aufnehmen. Im Notfall reicht dieser Wasservorrat bis zu ein Jahr.

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