Der Konflikt Naturschutz gegen Industrie ist auch in Europa bekannt. Der ostafrikanische Staat Tansania braucht Strom. Ein geplanter Staudamm bedroht das Naturschutzgebiet Selous-Park. Der Bau könnte ausreichen, um den Park um seinen Titel als Welterbe zu bringen. Ist der Fortschritt diesen Preis wert?

Nairobi - Die Tinte unter einem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tansania zum Schutz des größten Tierreservats des ostafrikanischen Staates, des Selous-Parks, war noch nicht trocken. Da kündigte der tansanische Staatspräsident John Magufuli an, in dem Schutzgebiet von der Größe der Schweiz einen riesigen Staudamm bauen zu lassen. Der bereits seit Jahrzehnten erwogene Damm solle jetzt so schnell wie möglich realisiert werden, sagte Magufuli. „Damit wir die für unsere Industrialisierung so wichtige Elektrizität gewinnen können“.

 

Naturschutzorganisationen wie der Worldwide Fund for Nature (WWF) schlagen Alarm und weisen auf die verhängnisvollen ökologischen Folgen des Staudamms hin. Außerdem könnte die Unesco, die in der nächsten Woche in Krakau tagt, dem Park seinen Status als Welterbe entziehen. Den Planungen zufolge soll in der Stiegler-Schlucht eine 126 Meter hohe und 700 Meter breite Staumauer errichtet werden. Sie wird dann den Rufiji-Fluss zu einem 1100 Quadratkilometer großen See stauen – größer als die Fläche Berlins. Nach Angaben des WWF wird der See nicht nur den Lebensraum für Zigtausende von Wildtieren zerstören, sondern auch „wichtige Wanderrouten überschwemmen und zusammenhängende Tierpopulationen trennen“.

Straßen würden auch Wilderern den Zugang erleichtern

Außerdem würden für den Bau inmitten des Schutzgebietes Straßen, Industrieanlagen und Siedlungen für 1200 Bauarbeiter entstehen. Mit ihrem „Verkehr, dem Lärm, der Verschmutzung und dem Abfall“ trügen sie zu einer „erheblichen Belastung des Welterbes bei“. Künftige Straßen würden auch den Wilderern den Zugang zum Park erleichtern, die dem Naturschutzgebiet schon heute enormen Schaden zufügen. Zwischen 1982 und 2014 ging die Zahl der Elefanten und Nashörner durch die Wilderei um fast 90 Prozent zurück.

Die tansanische Regierung weist dagegen auf den steigenden Elektrizitätsbedarf des Landes hin. Nach UN-Angaben sind derzeit nur zwei Prozent der Bewohner ländlicher Gebiete und 39 Prozent der in Städten lebenden Tansanier ans Stromnetz angeschlossen. Für seine mehr als 53 Millionen Einwohner produziert Tansania lediglich 1400 Megawatt Elektrizität, in Deutschland wurden für gut 81 Millionen Einwohner im vergangenen Jahr 650 Millionen Megawatt erzeugt. Das geplante Wasserwerk im Selous-Park soll einmal 2100 Megawatt produzieren.

Äthiopische Staudamm-Experten werden in Tansania erwartet

Die Regierung fragte Experten aus Äthiopien um Hilfe an, die am Blauen Nil derzeit den Bau des 4,1 Milliarden teuren Grand-Renaissance-Damms beaufsichtigen, der 6000 Megawatt Strom erzeugen soll. Man erwartet die Äthiopier bereits in den nächsten Tagen. Tansanias Präsident John Magufuli (Spitzname: Bulldozer) hatte vor einigen Jahren für Schlagzeilen gesorgt, als er als Transportminister eine Straße durch die Serengeti bauen lassen wollte. Nach einem internationalen Aufschrei wurde das Vorhaben durch eine Umgehungsstraße um den Nationalpark ersetzt.

Ausgerechnet am Vortag der Ankündigung des Präsidenten, den Bau des Staudamms im Selous-Park in Angriff zu nehmen, hatten die tansanische Regierung und der deutsche Botschafter in Tansania das „Selous Conservation and Development Program“ unterzeichnet. Das mit 18 Millionen Euro von Deutschland finanzierte Projekt soll den Schutz des Selous-Parks und seiner Randgebiete verbessern und seinen Erhalt als Unesco-Welterbe sichern. Durch den Staudamms ist nun allerdings genau das wieder gefährdet.

Bereits vor drei Jahren hatte die Unesco den Selous-Park auf ihre Liste der „gefährdeten Welterben“ gesetzt. Falls Tansania an seinen Plänen des Abbaus von Bodenschätzen und des Staudammbaus im Park festhalte, hieß es, werde dem Schutzgebiet der Status als Welterbe entzogen. Kürzlich gab die tansanische Regierung bekannt, die Suche nach Bodenschätzen in dem mehr als 50 000 Quadratkilometer großen Reservat einzustellen. Doch allein der Bau des Staudamms könnte ausreichen, um den Selous-Park um seinen Titel zu bringen. Das Welterbe-Komitee der Unesco wird bei seiner in der kommenden Woche in Krakau beginnenden Tagung darüber entscheiden.