Zurzeit schwärmen junge Fledermäuse aus ihrer Wochenstube aus – und durch gekippte Fenster rein in Büros und Wohnungen. Dort verenden sie unter Umständen jämmerlich. Artenschützer erklären, wie den Tieren zu helfen ist.

Verirrungen und Verwirrungen sind für das Pubertätsalter von Menschen ja typisch. Dass es aber auch bei den jungen Fledermäusen rund geht, beweisen diverse Arbeitseinsätze der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz.

 

Was ist geschehen?

Am Abend des 18. August in Zuffenhausen haben sich etliche Zwergfledermäuse ausgerechnet in die Büros des Luxuswagenherstellers Porsche verflogen. Robert Pfeifle, Ilona Scharf und Nina Kurz von der AG Fledermausschutz mussten Hilfe leisten; allerdings hatten Mitarbeiter umsichtig bereits die Fenster weit geöffnet, sodass der Großteil der Flattermänner von allein wieder ins Freie gefunden hat. Schon tags zuvor waren die Fledermausschützer zu Einsätzen in Büroräumen in Stuttgart ausgerückt, konnten dort aber für rund 60 Tiere nichts mehr tun. Auch das Ludwigsburger Polizeirevier ist im August vor zwei Jahren zum Schlafplatz einer Fledermaus geworden: sie hängte erschöpft an einem Lichtschalter ab.

Was suchen die Fledermäuse?

Bei den Tieren aus den oben geschilderten Fehlflügen handelt es sich um Zwergfledermäuse. Sie sind fingergroß, wiegen gerade mal so viel wie drei Gummibärchen, können aber mit ausgestreckten Flügeln eine Spannweite bis zu 25 Zentimetern erreichen. Dieses kleine Flugwunder hängt tagsüber zumeist in den Spalten alter Fachwerkhäuser, in Lagerhallen, in den Spalten von Holzfensterläden, unter Regenrinnen oder Vorsprüngen von Flachdächern ab. Nachts schwärmen die Tiere dann rund um diese Gebäude aus, um Beute zu machen. Im Mai bringen die Muttertiere ihre Jungen zur Welt und leben von da an ausschließlich mit den anderen Müttern in einer Gemeinschaft. Im August ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Muttertiere die so genannte Wochenstube verlassen und sich mit den männlichen Tieren erneut zur Paarung treffen. Die Jungtiere müssen nun selbstständig werden. Das klappt allerdings nicht auf Anhieb, wie die verirrten und verwirrten Jungtiere in den Büros beweisen.

Was ist den Jungtieren zum Verhängnis geworden?

„Wenn die Tiere vom Jagen zurückkehren, fliegen sie zu ihrem Standort und versuchen, den Quartierseingang anzuschwärmen“, erläutert Robert Pfeifle von der AG Fledermausschutz. Er ist Regionalvertreter im Regierungsbezirk Stuttgart und kennt die Probleme der Fledertiere: „Gekippte Fenster in der Nähe ihres Quartiers erscheinen in ihrer Echolotung wie der Eingang ihres Quartieres. Ist erst einmal eines der Tiere reingeflogen und flattert im Innenraum herum, kann das die anderen anlocken. So kommt es vor, dass 50 bis 100 Tiere in einem Büroraum gefangen sind.“ Werden sie nicht innerhalb von ein oder zwei Tagen entdeckt, verdursten sie.

Wie sollen Menschen sich verhalten?

Die Tiere sollen sich möglichst in einem Raum sammeln. „Dann müssen die Vorhänge beiseite geschoben und die Pflanzen entfernt sowie alle Fenster und Türen nach draußen geöffnet und das Licht ausgeschaltet werden. Man sollte in der Mitte des Raums stehen bleiben und schauen, ob die Tiere es innerhalb von zehn Minuten schaffen, auszuschwärmen“, sagt der Experte.

Kann das auch missglücken?

Die AG Fledermausschutz rückt im August wöchentlich mindestens ein Mal in die Stuttgarter Innenstadt aus, um Fledermäuse zu befreien. Zuletzt hatten die Geflügelten ihre Schwarm-Hotspots im Westen und am Marienplatz. Dort ist die Dichte an Altbauwohnungen aus der Gründerzeit mit hohen Räumen sehr groß, was den Tieren die Flucht aus den Zimmern erheblich erschwert. „Sie schwirren knapp unterhalb des Plafonds herum und schaffen es nicht, unter dem niedriger liegenden Fenstersturz durchzukommen. Zumeist reicht es aber, 20 bis 30 Minuten zu warten. Dann sind die Tiere müde, fliegen nicht mehr so hoch und kommen so auf Fensterhöhe“, erläutert Robert Pfeifle. Sollte es dann doch nicht klappen, sagt er, „dann kommen wir und versuchen sie nach draußen zu dirigieren“.

Das Einfangen ist die letzte Möglichkeit. Dann bleiben die Fledermäuse in Obhut, bis die Nacht kommt und sie sicher vor ihren Fressfeinden, den Krähen und Sperbern, entfleuchen können.

Was also tun für den Artenschutz?

Die Fledermausschützer bitten darum, im Zeitraum der hohen Schwarmintensität, also im August, anfang September, nachts die Fenster nicht zu kippen. Außerdem kann man Holzkästen an Häusern anbringen, in denen sie tagsüber geschützt sind.

Und wenn doch einmal ein Notfall eintritt, ist das Regionalvertretung unter der Telefonnummer 07 11 / 50 62 86 64 zu erreichen. Weitere hilfreiche Informationen sind online zu finden, und zwar unter: www.agf-bw.de .

Wie Fledermäuse leben

Population
Die guten Fledermausabende waren wegen der feuchten und kühlen Witterung im Frühjahr des Jahres 2021 gezählt, was der Fledermausnachwuchs durch fehlende Muttermilch zu spüren bekommen hat. In manchen Kolonien sind bis zu 80 Prozent der Jungtiere gestorben. Seit 2019 überprüft die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg in bedeutsamen Winterquartieren den Bestand verschiedener Fledermausarten. Die ehrenamtlich erhobenen Daten geben für die Bestände des Großen Mausohrs eine leichte Zunahme, für die Bestände der Zwergfledermaus dagegen eine Abnahme wieder.

Lebensraum
In Baden-Württemberg gelten insgesamt 23 Fledermausarten als heimisch. Zwergfledermäuse sind die meistverbreitete europäische Fledermausart. Sie jagen bevorzugt entlang von Vegetationsstrukturen, aber auch unter Straßenlaternen. Hauptnahrung sind Insekten. Die Modernisierung von Fassaden, das Insektensterben, Windräder, Autos und Züge, der Rückgang von Streuobstwiesen und Altholzwäldern gefährdet ihren Bestand. czi