Seit einem Jahr bewahren Taurusrinder und Konikpferde einen alten Steinbruch bei Blaubeuren vor dem Zuwachsen. Eine erste Einsatzbilanz der urigen Landschaftspfleger klingt viel versprechend.

Blaubeuren - Mit einer einzigen Kopfdrehung hat man 150 Millionen Jahre überbrückt. Hier der Wald aus Sonnenkollektoren, dort die schroffen Wände aus Kalkstein. Der Anblick der steinernen Formationen mit ihren Stufen und Klüften sowie der Geröllhalden, Sandkuhlen und flachen Teiche ließe sich locker auch mit dem Grand Canyon in Verbindung bringen. Das Zeug zur Filmkulisse des bleihaltigen Genres hat die Szenerie auf jeden Fall.

 

Aber wir sind nicht im Wilden Westen, bestenfalls im Wilden Süden, und der Zweck der Visite ist gänzlich friedvoller Natur. In einem größtenteils stillgelegten Steinbruch bei Blaubeuren-Gerhausen im Alb-Donau-Kreis ist ziemlich genau vor einem Jahr ein sogenanntes Beweidungsprojekt angelaufen, das bis dato aus gleich mehreren Gründen seinesgleichen sucht im Land: Urtümliche Taurusrinder und Konikpferde sollen das 75 Hektar große Terrain vor der Verbuschung bewahren – und so einer behördlichen Auflage zu Gunsten der Artenvielfalt und des Artenschutzes nachkommen.

Da die Tiere bei ihrer Ökomission im Wesentlichen auf sich selbst gestellt sind, fiel die Wahl auf Nachzuchten einst wild lebender Urrassen, die als entsprechend robust gelten. Bei den Taurusrindern hat man sich an den Auerochsen orientiert, doch weil deren letzter Vertreter bereits anno 1627 in den polnischen Weiten ins Gras hat beißen müssen, waren die Züchter auf Abbildungen bis hin zu Höhlenzeichnungen angewiesen.

Nach ersten Ansätzen in den 1920er Jahren durch die Gebrüder Heck („Heckrinder“) gelang es später hauptsächlich in Thüringen und Nordrhein-Westfalen, durch das Einkreuzen größerer Rassevertreter aus Mittelmeerländern das heutige schwarze Taurusrind mit seinen prägnanten Hörnern heranzuzüchten. Das Konik ist hingegen eine Nachzucht aus Polen und wird dort „Pferdchen“ genannt. Der Name zielt auf einstige Wildponys – wobei es gelungen ist, deren Merkmale wie dunkle Mähne und „Aalstrich“ auf dem Rücken sowie „Zebrastreifen“ an den Beinen wieder zur Geltung zu bringen.

Winterfeste Tiere

„Wir wissen, dass es funktioniert“, sagt Hans-Georg Kraut nach einem Jahr Projekterfahrung. Er stützt seinen Optimismus auf die Tatsache, dass die Tiere den besonders zählebigen vergangenen Winter so gut wie ohne Zufütterung im Freien überstanden haben. Außerdem wäre da noch der augenfällige Befund, dass in diesem Frühjahr drei Kälber und zwei Fohlen geboren wurden. Damit zählen beide Herden jeweils 13 Mitglieder, weiterer Nachwuchs wird erwartet.

Krauts eigentliches Wissensfeld hat indes weniger mit der Rinder- und Pferdevermehrung als vielmehr mit dem Steinbruchwesen und der Verwertung der Bodenschätze zu tun. Der 62-jährige umgängliche Bruchsaler ist von Haus aus Chemieingenieur, war der letzte Werkleiter der Mitte der 1990er Jahre wegen Überkapazitäten geschleiften Blaubeurener Zementfabrik und ist nunmehr Direktor der Firma Heidelberger Zement in Schelklingen. Als sich die Chance bot, per Pilotprojekt dem Steinbruch im Gewann Öfele mittels Beweidung durch urige Viecher sein Bild zu erhalten, hat sich Hans-Georg Kraut umgehend für die Idee erwärmt: „Ich wollte das mal sehen!“ Und der Zementwerkchef macht auch keinen Hehl daraus, dass es gerade dem Image dieses Industriebereichs nur gut tun kann, wenn er im Zusammenhang mit einem ungewöhnlichen Natur- und Artenschutzprogramm genannt wird.

Zwar macht der halbwegs zwischen Gerhausen und Pappelau gelegene Steinbruch das Kernstück des Weideprojekts aus, aber als Nahrungsgrundlage der beiden Herden hätten seine Freiflächen keineswegs ausgereicht. Zusammen mit dem Besitzer angrenzender Grünland- und Gehölzbereiche sowie eines Solarparks gründete die „Heidelberger“ deshalb eine Gesellschaft, deren Geschäftsführung sich Hans-Georg Kraut und der Grundstückseigner teilen.

Damit aber war der Boden für eine weiter gehende Kooperation von Naturschutz, Rohstoffindustrie und Gewerkschaft bereitet. Die ungewöhnliche Allianz aus den jeweiligen Landessektionen des Naturschutzbundes, des Industrieverbandes Steine und Erden und der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt verabschiedete im Juli des vergangenen Jahres eine bundesweit beachtete Erklärung. Darin schreiben sich die Partner, zu denen mittlerweile auch der Verein Geo-Park gestoßen ist, die nachhaltige Rohstoffnutzung, den Schutz und die Förderung der biologischen Vielfalt beim Abbau sowie eine enge Kooperation bei der Planung neuer Abbaustätten auf die Fahnen. Zudem sollen die Klimaschutzkriterien beachtet und soziale Belange innerhalb der Rohstoffindustrie gesichert werden. Erntete die Initiative Lob bei der Landesregierung in Stuttgart, so wertete der Naturschutzbund das Gerhausener Projekt als „sichtbare Folge“ der Zusammenarbeit.

Kräutlein aus der Naturapotheke

Wortwörtlich sichtbar und ablesbar sind die Fressfolgen der vierbeinigen Landschaftspfleger ganz besonders am Buschwerk der Steinbruchsohle. Auf diese Weise, erklärt Kraut, bleiben die Teiche offen für Laubfrosch, Gelbbauchunke und viele Libellenarten. Als rechte Rarität sei auch schon der Flussregenpfeifer in den sandigen Kuhlen gesichtet worden. Die Präsenz dieses Vogels kann eigentlich nur als Kompliment an die Projektkonzeptionisten verstanden werden.

Hält man in Gerhausen bereits die Zahl von 380 Pflanzenarten innerhalb des Beweidungsareals für gesichert, so ist nach dem einjährigen Probelauf freilich noch offen, welche Besatzdichte an Rindern und Pferden sich generell mit der angestrebten Artenvielfalt bei Flora und Fauna verträgt. Antworten dazu soll ein wissenschaftlicher Beraterstab aus hauseigenen Biologen der Zement-AG und des Naturschutzbundes liefern. Zudem steuert ein Ingenieurbüro die nötigen Bestandsdaten bei. Dass die Huf- und Klauenträger nach den Angaben Krauts keine Auffälligkeiten in puncto Krankheiten zeigten, spricht für die These, wonach die Naturapotheke im Öfele und rund ums Öfele ausreichend diverse Kräutlein bereithält.

Lange bevor das Steinbruchgeviert bei Gerhausen mit Artenschutz und Biodiversität, Großviehhaltung und Weidestrategien in Verbindung gebracht wurde, galt das Interesse der Menschen primär den Schätzen unter der Erde. So war es etwa der experimentierfreudige Maurermeister Johann Daniel Weil, der um 1835 einen besonderen Treffer landete. Er war im Öfele auf einen Kalkmergel gestoßen, der wegen seines hohen Tonanteils beim Zisternenbau und als Mörtel gute Geschäfte versprach. Wie ein fotografisch dokumentierter Nachruf ist zum Ende des Zementwerks Blaubeuren ein Buch mit dem passenden Titel „Eine Fabrik verschwindet“ erschienen. Darin wird die Industriegeschichte mit ihren maßgeblichen Exponenten vor dem Hintergrund wechselnder politischer Epochen umfassend dargestellt. Es werden Verfahrenstechniken erläutert, und man erfährt, welche Veränderungen das Aufkommen einer Industriearbeiterschaft für die Gegend mit sich brachte.

Droben über Gerhausen sind die neuen Bewohner auch dort eingezogen, wo man es zunächst nicht vermutet hätte. In der betonierten Reifenwaschanlage schwimmen munter Kaulquappen, und die sogenannte Bandstraße, über die durch den Berg das Material zum Zementwerk transportiert wurde, haben längst Fledermäuse zu ihrem Domizil erkoren. Und noch eins: das Gesamtgelände ist zwar eingezäunt, aber von ausgesuchten Punkten aus lässt sich das ungewöhnliche Biotop aus zweiter Hand gut überblicken.