Der Tierarzt Jean Bosco Noheli aus Ruanda berichtet in der Wilhelma über seine gefährliche Arbeit mit Berggorillas.

Stuttgart - Es ist schon ein beeindruckender Anblick, wenn sich ein Silberrücken, also ein ausgewachsener Gorillamann, in voller Größe den Zuschauern präsentiert. Und das nicht im Glaskäfig in der Wilhelma, sondern in einem Bachbett in der afrikanischen Natur. Erleben kann man dies in Ruanda: Im Vulkan-Nationalpark werden Touren für Touristen zu den dort lebenden Berggorillagruppen angeboten.

 

Die Regeln sind streng und bis ins Detail festgelegt: von den 18 Gorillagruppen, die in Ruanda leben, darf nur ein Teil von Menschen besucht werden, und das auch nur einmal am Tag. Zudem dürfen nur je acht Touristen zu den Tieren, die gut bewacht werden: Sogenannte Tracker sind den ganzen Tag mit den Tieren unterwegs. Das schreckt Wilderer ab und hat zudem den positiven Nebeneffekt, dass die Touristengruppen die Gorillas nicht lange suchen müssen, sondern direkt zu den Tieren geführt werden können.

Für einen etwa einstündigen Besuch bei einer Berggorillagruppe sind allerdings 500 Dollar zu berappen. Mithin sind die Tiere eine wichtige Einnahmequelle für den Staat. Da von diesem Geldsegen den umliegenden Gemeinden aber ein gewisser Teil zugute kommt und der Naturtourismus auch anderweitig Geld einbringt, steht die lokale Bevölkerung – zumindest zu einem großen Teil – dem Gorillaschutz positiv gegenüber.

Illegaler Handel

Doch es sind auch genügend Wilderer unterwegs, die im großen Gebiet des Virunga-Nationalparks (siehe Grafik) den Berggorillas und anderen Tieren nach dem Leben trachten. Besonders groß ist dabei die Gefahr im Kongo. „Es gibt immer noch illegalen Handel mit Gorillas“, berichtet der Tierarzt Jean Bosco Noheli. Er gehört zu den sogenannten Gorilla Doctors, einer Gruppe von zwölf Tierärzten, die zu einer privaten Organisation gehört. Die Docs kümmern sich um die verbliebenen rund 780 Berggorillas in Afrika. Noheli ist derzeit auf Besuchstour in Deutschland – dank einer Initiative von Wolfram Rietschel, dem ehemaligen Tierarzt der Stuttgarter Wilhelma, und mit finanzieller Unterstützung der in Waiblingen ansässigen Eva Mayr-Stiehl Stiftung.

„Uns liegen die Berggorillas am Herzen“, beschreibt Noheli die Motivation der Gorilladocs, sich um die Gesundheit der hochgradig bedrohten Art zu kümmern. Neben der selbst in den Nationalparks allgegenwärtigen Wilderei sind es vor allem menschliche Infektionskrankheiten, die für die Menschenaffen gefährlich werden können. Daher überwacht das Ärzteteam regelmäßig die verschiedenen Gorillagruppen im Park.

Dabei muss in jedem Einzelfall das Richtige getan werden – und was das ist, ist gar nicht immer so leicht zu entscheiden, wie Noheli berichtet. Wenn ein Tier an einer Infektionskrankheit leidet, kann es noch relativ einfach mit Antibiotika behandelt werden: Diese werden ihm per Pfeil sozusagen in den Leib geschossen. Schwieriger wird es, wenn ein Gorilla – etwa durch eine von Wilderern gelegte Schlinge – so schwer verletzt ist, dass er in Narkose gelegt werden muss. Das ist sowohl für das Tier als auch die Ärzte nicht ohne Risiko: Muss etwa ein Gorillakind versorgt werden, dann müssen auch die Mutter und der Chef der Gruppe, der Silberrücken, ruhig gestellt werden. Und die übrigen Gruppenmitglieder müssen entsprechend abgelenkt werden. Erst dann kann vor Ort der notwendige Eingriff erfolgen.

Gesundheitsprogramm für Gorillas

Ein wichtiger Teil des „Gorilla-Gesundheitsprogramms“ der Tierärzte ist zudem die medizinische Überwachung der umliegenden Bevölkerung und ihrer Tiere. Schließlich ist die Gefahr groß, dass Infektionskrankheiten von außen in den Park gelangen und dann die Gorillas bedrohen. Außerhalb des Parks aktiv werden die Veterinäre auch, wenn ein Gorilla auf Wanderschaft geht – so wie kürzlich ein Silberrücken: 20 Kilometer jenseits der sicheren Parkgrenze ließ er sich in einer Gemeinde häuslich nieder, baute abends sein Schlafnest und bediente sich auf dem Markt mit Grünzeug und Kartoffeln.

„Das war ein schwerwiegender Zwischenfall – und eine Riesenattraktion“, erinnert sich Noheli und belegt mit einem Videofilm, wie der Silberrücken inmitten zahlreicher Menschen durch das Dorf streifte. Die Gorilladocs wurden gerufen und man überlegte, was man mit dem 170 Kilogramm schweren Tier am besten tun soll. Schließlich wurde entschieden, es zu narkotisieren und in den Nationalpark zurückzuverfrachten. Das funktionierte auch, doch nach zwei Wochen kam er zurück. Wieder wurden die Tierärzte gerufen – doch dieses Mal mussten sie gar nicht aktiv werden: „Als er uns sah, ging er freiwillig in den Park zurück und ist seither nicht wiedergekommen“, erzählt Noheli.

Traumatisierte Gorillababys

Zu den Aufgaben der Gorilladoktoren gehört auch, sich um beschlagnahmte Jungtiere zu kümmern. Erstmals seit 2003 nahm Ruandas Polizei im vergangenen August Wilderern wieder ein Baby ab: das damals etwa ein Jahre alte Gorillamädchen Ihirwe. Und in der Demokratischen Republik Kongo wurden gleich drei Gorillakinder konfisziert. Die Kleinen sind schwer traumatisiert: in der Regel mussten sie mitansehen, wie ihre Familienmitglieder von Wilderern umgebracht wurden. Und danach wurden sie von ihren Peinigern schlecht behandelt und ernährt. Daher mussten sie von den Veterinären erst mühsam wieder aufgepäppelt werden, bevor sie nun zumindest drei Jahre lang intensiv betreut werden. Zudem wurden DNA-Proben genommen, die am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersucht wurden. Sie ergaben, dass die in Ruanda beschlagnahmte Ihirwe kein Berg-, sondern ein Flachlandgorillamädchen ist.

Durch die intensive Überwachung und Pflege hat sich die Zahl der Berggorillas in den letzten Jahren wieder deutlich erhöht: von 620 Tieren im Jahr 1996 auf 674 im Herbst 2002 auf nunmehr 780 Gorillas. Doch wie das Beispiel der beschlagnahmten Gorillababys zeigt, stellt – neben der Fallenstellerei – der illegale Handel nach wie vor eine der größten Gefahren dar. 18 000 Dollar soll ein Tier auf dem Schwarzmarkt bringen – da ist die Verlockung zur Wilderei für die arme Bevölkerung rund um die Parks groß. Rätsel geben den Experten allerdings die Auftraggeber für solche illegalen Fänge auf: „Die Wilderer können nicht sagen, woher das Geld kommt“, sagt Noheli. Möglicherweise landen die Tiere in Privatzoos. „Wir haben keine Informationen, dass die Gorillas gegessen werden – im Gegensatz zu Schimpansen“, erklärt der Veterinär.

Auch für die Parkranger sind die Wilderer eine große Gefahr: „Es gibt immer wieder Todesfälle“, berichtet Noheli. „Wenn ein Wilderer dich sieht, bevor du ihn siehst, wird er dich töten.“ Daher laufe jeder, der im Park arbeitet, Gefahr, getötet zu werden. „Aber man hat keine Wahl – das ist unsere Form des Patriotismus“, sagt der Gorilladoc bescheiden und ganz ohne pathetischen Unterton.