30 bis 40 Prozent der Tier- und Pflanzenarten stehen in Baden-Württemberg auf der Roten Liste – Die lang erwartete Strategie zum Stopp des Artensterbens im Land liegt nun vor. Verschiedene Ministerien sollen hierfür zusammen arbeiten.

Stuttgart - Die wegweisende Naturschutzstrategie, mit der Grün-Rot festlegen wollte, wie das Land künftig die nationalen und internationalen Verpflichtungen erfüllen will, hat lange auf sich warten lassen. Dass die Landesregierung erheblichen Handlungsbedarf beim Natur- und Artenschutz sieht, hatte sie schon im Oktober 2011 beteuert. Und auch, dass diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe ins „Zentrum der Politik“ rücken wolle.

 

Nun liegt das Werk auf dem Tisch: 118 Seiten stark ist es, und es wurde soeben noch vor der Sommerpause vom Kabinett verabschiedet. Das wichtigste Ziel lautet, die biologische Vielfalt im Land zu stabilisieren, also die Tier- und Pflanzenarten und ihre genetische Vielfalt sowie ihre Lebensräume zu erhalten. 30 bis 40 Prozent der Tier- und Pflanzenarten stehen in Baden-Württemberg auf der Roten Liste.

Weltweit verschwinden täglich 130 Arten

Laut Vereinbarungen der internationalen Staatengemeinschaft und der EU soll das dramatische Artensterben – täglich bis zu 130 Arten weltweit – bis 2020 gestoppt und bis 2050 eine positive Entwicklung eingeleitet werden. Baden-Württemberg, so der Naturschutzminister Alexander Bonde (Grüne), wolle mit der auf zehn Jahre angelegten Strategie seinen Beitrag dazu leisten. Dies sei eine „Querschnittsaufgabe“ – und umfasse deshalb auch Aufgabenbereiche aus anderen Ministerien wie Verkehr, Wasserwirtschaft, Klimaschutz oder Rohstoffabbau. Aktuell ist das für die Bauleitplanung zuständige Verkehrsministerium dabei, die Landesbauordnung ökologischer auszurichten als bisher.

Für die drängenden Aufgaben im Naturschutz, etwa bei Natura 2000, einem der wichtigsten Instrumente des Naturschutzes in der EU, wurde der Etat bereits 2011 um eine Million Euro aufgestockt. Im vergangenen Jahr kamen weitere sechs Millionen Euro dazu, die Summe liegt nun bei 36 Millionen Euro. Bis 2014 soll der Etat auf fast 50 Millionen erhöht werden.

Blicke weit über das einzelne Biotop hinaus

Geld, das laut den Naturschutzverbänden für die lange vernachlässigten Pflichtaufgaben eingesetzt werden sollte – und nicht zur Finanzierung des geplanten Nationalparks im Nordschwarzwald. Das hatte zumindest schon der SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel mit Blick auf den überschuldeten Landesetat angemahnt. Der Nationalpark im Nordschwarzwald, ein weiteres Biosphärengebiet im Südschwarzwald sowie mehr als 400 konkrete Maßnahmen für 35 Schwerpunktbereiche sind in dieser Strategie aufgeführt. Beispielsweise soll es bei der Flurneuordnung immer einen „ökologischen Mehrwert“ geben. Es geht hierbei nicht mehr nur darum, etwa Hecken oder andere Biotope anzulegen, sondern diese zu vernetzen, Lücken zu schließen im Biotopverbund und den Generalwildwegeplan zu beachten.

Dem Moorschutz kommt laut Minister Bonde eine besondere Bedeutung zu. Mit der sogenannten Wiedervernässung könne der Artenvielfalt, dem Klima- und dem Hochwasserschutz gleichzeitig geholfen werden. Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) erarbeite derzeit ein Moorschutzkonzept.

Opposition kritisiert die Verspätung

Zudem sollen flächendeckend Landschaftserhaltungsverbände eingeführt werden. Sechs gab es in 2011, derzeit sind es 18, bis Ende des Jahres könnten es bis zu 25 werden. Hierbei werden auf Landkreisebene Pflegeverträge mit Vereinen, Verbänden oder Landwirten geschlossen, die sich um den Erhalt der Kulturlandschaft kümmern, etwa Streuobstwiesen oder Wacholderheiden. Die unteren Naturschutzbehörden, also die Landratsämter, erhalten dafür jeweils 1,5 Personalstellen. Ebenso soll das Personal in den Landkreisen und Regierungspräsidium aufgestockt werden, um den Aufgabenzuwachs bei Natura 2000 zu bewältigen.

Die CDU-Opposition kritisiert die zweijährige Verspätung und fordert in einer Anfrage Aufklärung über die Gründe dafür. Zudem hakt deren naturschutzpolitischer Sprecher, Patrick Rapp, in Sachen „Kostenkonkurrenz“ von Naturschutzprojekten und dem Nationalpark nach. Rapp möchte auch wissen, wie denn sichergestellt werden, dass sich alle Ministerien an der Umsetzung beteiligen.

Kritik und Lob von Nabu

Auch der Naturschutzbund Nabu kritisiert, dass die Erarbeitung der Strategie „eine halbe Legislaturperiode“ gedauert habe. In gleichem Atemzug lobt der Nabu-Chef Andre Baumann jedoch das Werk als die „fortschrittlichste Naturschutzstrategie“ in Deutschland. Diese sei sehr weitreichend, alle Ministerien seien zur Umsetzung verpflichtet, hebt der stellvertretende Vorsitzende des Landesnaturschutzverbands (LNV), Gerhard Bronner, hervor. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zeigt sich erfreut, dass etliche Vorschläge der Naturschutzverbände aufgenommen wurden, erklärt die Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender.

Die Einführung von sogenannten Naturpatenschaften allerdings lehnt Brigitte Dahlbender ab. Hierbei können sich Unternehmen im Naturschutz engagieren, ideell, tatkräftig oder auch finanziell. Es sei nicht akzeptabel, dass das Land „aktiv Greenwashing-Projekte der Unternehmen“ unterstütze, sagt die BUND-Chefin. Das Engagement von Unternehmen von Ort sei wichtig, aber es dürfe „kein politisches Prinzip“ daraus gemacht und die Finanzierung der Pflege kleinerer Schutzgebiete privatisiert werden. Die langjährige ehrenamtliche Arbeit der Naturschutzverbände werde hierdurch „diskreditiert“.