Warum gibt es in den Tropen so viele Tierarten und in Mitteleuropa vergleichsweise wenige? Das haben deutsche Biologen am Kilimandscharo untersucht – am Beispiel von Wildbienen.

Stuttgart - Ein paar gelbliche Grasbüschel recken sich zwischen den unzähligen, graubraunen Steinen der Schotterebene in den Himmel. Die karge Hochfläche auf dem höchsten Gebirgsmassiv Afrikas sieht nicht gerade nach einem Brennpunkt der Artenvielfalt aus. Tatsächlich fischt Alice Claßen von der Würzburger Universität auf dem Kilimandscharo aus ihren in 4550 Metern über dem Meeresspiegel aufgebauten Insektenfallen auch nur Wildbienen einer einzigen Art. Weiter unten findet die Biologin erheblich mehr Spezies dieser summenden Insekten. Das überrascht sie kaum, schließlich leben in den Tropen viel mehr Arten von Tieren und Pflanzen auf der gleichen Fläche als in den kühleren Regionen der Erde.

 

Der Kilimandscharo eignet sich für Claßens Forschung, weil er gerade einmal 300 Kilometer südlich des Äquators liegt, aber 5895 Meter hoch in den Himmel ragt. Am Fuß dieses Vulkanmassivs sollte die Artenvielfalt also relativ hoch sein, an der Spitze gering. Aber warum ist das so? Das wollen Alice Claßen und ihre Kollegen um den Bienenspezialisten und Tierökologen Ingolf Steffan-Dewenter klären – am Beispiel der Wildbienen am Kilimandscharo.

Bisher konzentrierten sich Ökologen bei ihren Erklärungen auf zwei Mechanismen: So sprießt die Vegetation in den warmen Regionen meist recht üppig. Es gibt daher reichlich Blüten. Dieser für Insekten reich gedeckte Tisch ernährt daher mehr Individuen als in kühleren Regionen. Je mehr Tiere leben, umso kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Art ausstirbt. Mit der Zeit bleiben in den warmen Regionen mehr Arten übrig als in kühleren Gebieten.

Die Bienenarten unterscheiden sich zuweilen nur wenig

Obendrein blüht es in den Tropen oft das ganze Jahr. Wildbienen finden daher meist viele Blüten, und in zwölf Monaten können einige Bienengenerationen summen. Bei jedem Zyklus aber können kleine Veränderungen im Erbgut entstehen, die wiederum die Grundlage für die Entwicklung zu einer neuen Art sein können. Ganz anders ist die Situation in höheren Breiten: In Mitteleuropa konzentrieren sich die Blüten auf wenige Monate im Jahr. Es bleibt weniger Zeit für die Vermehrung, und es gibt damit auch weniger Generationen und weniger Veränderungen im Erbgut. Neue Arten entstehen in den kühleren Regionen langsamer, auch deshalb ist dort die Artenvielfalt geringer.

Wildbienen lassen sich gut untersuchen, weil ihre Nahrung aus Nektar und Pollen besteht und damit recht übersichtlich ist. Auch ist die Vielfalt dieser Gruppe nicht so groß, dass die Forscher den Überblick verlieren würden. Genau diese Vielfalt müssen sie schließlich bestimmen, um die Theorien zu prüfen und zu verbessern. Zum Glück finden sich ähnliche Unterschiede wie zwischen Mitteleuropa und den Tropen auch zwischen den Savannen am Fuß des Kilimandscharo und dessen Hochebenen, was die Forschungsarbeit deutlich vereinfacht.

Trotzdem müssen die Forscher noch Hürden überwinden: „Oft unterscheiden sich zwei Arten nur durch kleine Details wie zum Beispiel ein wenig andere Härchen, die man nur unter dem Mikroskop unterscheiden kann“, erklärt Alice Claßen. Einfach auf der Wiese Wildbienen beobachten reicht also keineswegs. Die Biologin muss die Insekten in jeder Höhenlage und in den unterschiedlichen Vegetationszonen fangen. Dazu verwendet sie Suppenschälchen, deren leuchtenden Farben das ultraviolette Sonnenlicht ähnlich wie eine Blüte gut reflektieren und so Wildbienen fast magisch anziehen. Im Inneren schwappt eine Seifenlösung, aus der die Insekten nicht mehr herauskommen.

Auch in den hohen Lagen kann es warm werden

Insgesamt eineinhalb Jahre hat Alice Claßen am Kilimandscharo verbracht und in 60 Gebieten Wildbienen gefangen. Ihre tiefste Station baute sie in 870 Metern in der Savanne Tansanias am Fuß des Bergmassivs auf. Den größten Teil dieses Graslandes haben die Menschen längst in Felder umgewandelt, auf denen sie Mais anbauen. Zwischen 1100 und 1800 Meter Höhe wächst an diesem Vulkanmassiv tropischer Wald, in dem inzwischen viele Kaffeeplantagen und auch gemischte Agroforst-Systeme angelegt wurden. Darüber liegt in 1800 bis 2800 Meter Höhe eine weitere Urwaldzone, die in 2800 bis 3200 Metern von einem Steineibenwald abgelöst wird. Darüber wachsen bis in 4000 Meter Höhe vor allem Heidekraut-Gewächse, die am Kilimandscharo bis zu zehn Meter hoch werden. In der obersten Zone wachsen überwiegend Strohblumen, die Landschaft wird karger, bis in 4600 Metern über dem Meer die Vegetationsgrenze erreicht ist.

In jeder dieser Zonen hat die Biologin ihre Insektenfallen aufgebaut. Mal standen sie am Boden, mal hingen sie an Pflöcken oder in den Baumkronen. In Würzburg sortierte die Biologin dann die Bienen nach ihrem Äußeren und kalkulierte so die Anzahl der Arten in den einzelnen Regionen am Kilimandscharo. Je tiefer die Studienflächen lagen, umso mehr Arten fand Alice Claßen in ihren Fallen. Das gilt auch für die landwirtschaftlich genutzten Flächen.

Dieses Ergebnis bestätigt die Behauptung, dass in den Tropen das Leben brummt und die Artenvielfalt besonders hoch ist. Die Daten liefern auch Hinweise, dass an den beiden bisherigen Erklärungen etwas dran ist. Alice Claßen fand aber auch einen dritten Mechanismus, der den Artenreichtum über die Temperatur beeinflusst: „Wenn die Sonne kräftig geschienen hat, habe ich auf den Strohblumen-Hochflächen im T-Shirt geforscht“, erinnert sich die Biologin. Hohe Temperaturen aber gibt es allenfalls wenige Stunden am Tag. Sonst hängen die Hochlagen in Wolken, nachts hat es oft einige Frostgrade. Dann können Bienen nicht fliegen, und auch tagsüber müssen sie erst ihre Flugmuskeln einige Zeit zittern lassen, damit ihr ausgekühlter Leib auf Betriebstemperatur kommt. Da bleiben nur wenige Stunden, in denen die Bienen Blüten anfliegen können. In den wärmeren Regionen haben die Bienen mehr Zeit für die Nahrungssuche. Daher können sie mehr Energie in ihren Nachwuchs investieren.

Ähnliches dürfte für Vögel und Säugetiere gelten, die ihren Organismus normalerweise auf hohen Betriebstemperaturen halten und so auch bei Eis und Schnee noch handlungsfähig sind. Viele dieser Tiere fressen Insekten. Dieses Nahrungsangebot aber wächst bei höheren Temperaturen, deshalb ist auch bei diesen Tieren die Artenvielfalt in den Tropen größer.