Wildkatzen gelten als vom Aussterben bedroht. Nun entdecken sie Wissenschaftler aber in wachsender Zahl in Europa. Manche Regionen sind allerdings wie abgeschottet – unter anderem die Schwäbische Alb und der Schwarzwald. Schuld daran sind die Autobahnen.

Stuttgart - Katzenhaare, die Forscher an Stöcken im Wald finden verraten, dass wieder mehr Wildkatzen in mitteleuropäischen Wäldern unterwegs sind – die bisher als vom Aussterben bedroht galten. Doch die Ergebnisse zeigen auch, dass große Verkehrsachsen wie die Autobahn im Rheintal zwischen Basel und Mannheim ein schier unüberwindbares Hindernis für die scheuen Waldbewohner sein können.

 

„Während die Wildkatze von den Vogesen schwer zugängliche Gebiete auf der linken Rheinseite gut erreicht, gibt es im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb kaum Nachweise“, fasst Thomas Mölich die Situation zusammen. Dabei wachsen dort durchaus Wälder mit viel Dickicht und Unterholz, in denen sich Wildkatzen normalerweise wohl fühlen. Das weiß der Biologe, seit er im Nationalpark Hainich Wildkatzen eingefangen und mit kleinen Sendern an Halsbändern versehen wieder freigelassen hat. Mit Peilsendern konnte er die Tiere dann verfolgen und den Wildkatzen-Alltag untersuchen.

Weiter als zweihundert Meter entfernen sich die Wildkatzen normalerweise nicht vom Waldrand. Schließlich wachsen dort dichte Büsche, in denen sie Wühlmäusen auflauern können. Schlehdorn- und Weißdornhecken sind ideale Verstecke für die kleinen Raubtiere, weil sie dort selbst am hellen Tag von Spaziergängern nicht entdeckt werden. Auf dem Waldboden sollten Büsche wachsen und morsches Holz liegen, die Förster im Wirtschaftswald gern entfernen, damit der Forst „sauber“ aussieht. Wildkatzen aber brauchen die Wurzelstöcke von Bäumen, die ein Sturm umgeworfen hat. Finden sie darunter doch oft kleine Höhlen, die sich ideal als Kinderstube eignen: Dort verbergen sich die kleinen Kätzchen vor den Augen hungriger Füchse, Marder oder Eulen.

Halten die Förster also die Wälder „sauber“, wie es in den 1960er Jahren fast überall üblich war, verliert die Wildkatze ihr Zuhause. Damals verschwanden die scheuen Waldbewohner offensichtlich. Seither aber haben einige Förster umgedacht und solche wilden Wälder dürfen mancherorts wieder wachsen. Aber leben dort auch Wildkatzen? Und wenn ja, wie viele?

Füchse, Hasen, Schafe und ein Lama

Nur eine große Studie kann diese Fragen beantworten. Also schlugen im BUND-Projekt „Wildkatzensprung“ 750 Helfer auf 17 jeweils 250 Quadratkilometer großen Flächen in Deutschland jeweils 50 Lockstöcke in den Waldboden. Aus den dort hängenbleibenden Haaren fischten Katharina Steyer und Annika Tiesmeyer vom Senckenberg-Forschungsinstitut und der Universität in Frankfurt am Main mehr als 20 000 Erbmaterial-Proben, die nach dem Vaterschaftstest weit überwiegend von Wildkatzen stammten. „Ansonsten fand ich einige Füchse und selten einmal Hasen, Schafe, sowie ein Lama“, erinnert Katharina Steyer sich. Letzteres stammte allerdings nicht von einem lebenden Vierbeiner, sondern von der Lama-Fellmütze eines Helfers. Nicht nur diese Kopfbedeckung sollte sich als Ausnahme erweisen, ähnlich selten waren nach den Erbgut-Analysen auch die Zwischen-Katzen-Beziehungen: Gerade einmal vier Prozent aller Katzenfunde waren Mischlinge zwischen Wild- und Hauskatzen. Die Wildkatze hält sich demnach vom Stubentiger fern.

Einige Tiere entdeckte Katharina Steyer vier Jahre lang immer wieder. „Sie bleiben immer in der gleichen Gegend in einem Umkreis von allenfalls 20 Kilometern“, staunt die Biologin. Als längste Wanderung konnte sie 45 Kilometer nachweisen, das ist bisher aber die große Ausnahme. Als Wildkatzen-Hochburg entlarven die Erbgut-Analysen das Leine-Weser-Bergland, dort leben auf hundert Quadratkilometern etwa siebzig Wildkatzen. Den zweiten Platz verteidigt der Nationalpark Hainich mit rund 60 Wildkatzen auf der gleichen Fläche.

In ihren Hochburgen wird es den Wildkatzen irgendwann zu eng. „Einige Tiere werden von dort abgedrängt und erreichen dann neue Regionen“, erklärt Thomas Mölich. Das gilt zum Beispiel für den Spessart, in dem einst Wildkatzen aus Osteuropa ausgesetzt wurden. Das Erbgut dieser Gruppe findet Katharina Steyer noch heute in der Gegend, die freigelassenen Katzen und ihre Nachkommen haben also überlebt. Mehr noch, sie breiten sich auch noch Norden aus: Die gleiche Erbgut-Variante findet die Biologin nämlich inzwischen auch in einzelnen Proben aus der Rhön, wo auf hundert Quadratkilometern wieder 30 Wildkatzen durch das Dickicht schleichen.

Weite Teile Baden-Württembergs sind wildkatzenfrei

Auch in Bayern macht die Wildkatze Boden gut und taucht zum Beispiel zunehmend in den Hassbergen und im Nürnberger Reichswald auf. „Meist entdecken wir Wildkatzen in den unzugänglichen Gebieten“, berichtet Thomas Mölich. Manchmal aber warten die Forscher in solchen Regionen vergeblich auf die Ankunft des scheuen Waldbewohners: Genau wie weite Teile Baden-Württembergs sind auch Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg weitgehend Wildkatzen-frei. Dabei gibt es auch dort die Dickichte an Waldrändern, in denen die Wildkatzen liebend gern jagen. „Solche Regionen sollten mit den bisher existierenden Vorkommen verknüpft werden“, meint Thomas Mölich. Wie das funktioniert, hat der Forscher bereits im Thüringer Wald ausprobiert: In der Mitte eines Wildkatzen-Korridors pflanzen die Naturschützer einen dreißig Meter breiten Streifen aus Hainbuchen, Eschen und Linden, der rechts und links von einem acht Meter breiten Streifen mit Weißdorn, Schlehe und Hartriegel gesäumt wird. Abschließend kommt noch ein zwei Meter breiter Streifen mit Kräutern und schon fühlen sich Wildkatzen, Baummarder, Dachse und wohl auch der seltene Luchs in diesen Waldkorridoren wohl und nutzen sie als Wanderwege.

Inzwischen haben Thomas Mölich und seine Kollegen mit dem „Wildkatzenwegeplan“ ein 20.000 Kilometer langes Wandernetz für Wildkatzen entworfen, das die naturnahen Wälder in verschiedenen Regionen Deutschlands miteinander verbinden soll. Werden dann noch breite Grünbrücken über vielbefahrene Autobahnen wie die A5 im Rheintal gebaut, können dort nicht nur Wildkatzen, sondern auch andere Arten in den Schwarzwald und auf die Schwäbische Alb wandern.

Wer die Erlebniswelt der Wildkatzen am eigenen Leib erfahren möchte, kann sich hier über einen Wildkatzen-Erlebnispfad in der Region Stuttgart informieren.

Katzenverwandtschaften: Vier Unterarten

Waldkatze
Die europäische Wildkatze hat einen relativ stumpfe Schwanzspitze und lebt in Mittel-, Süd- und Südosteuropa, sowie in Kleinasien bis zum Kaukasus.

Falbkatze Die Afrikanische Wildkatze hat ein spitzeres Schwanzende und kommt in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel vor. Untersuchungen des Erbgutes entlarven diese Unterart als Urahnin der Hauskatze.

Steppenkatze Die Asiatische Wildkatze lebt zwischen dem Nahen Osten und Zentralasien und ähnelt der Falbkatze. Allerdings hat sie kein gestreiftes, sondern ein geflecktes Fell.

Graukatze Die Felis silvestris bieti lebt in den Bergwäldern am Ostrand des Hochlandes von Tibet. Ihre Schwanzspitze ist genau wie die drei oder vier Ringe am Schwanz dunkel gefärbt. Über das Leben dieser Unterart, die manchmal auch als eigene Art geführt wird, ist ansonsten leider wenig bekannt