Apotheken müssen immer mehr Zeit aufwenden, um Ersatzmedikamente zu beschaffen, weil Hersteller nicht liefern. Durch die Corona-Pandemie verschärft sich die Situation weiter.

Stuttgart - Nur noch Säuglinge, Personen ab 70 Jahre und Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen oder Immunschwäche sollten gegen Pneumokokken, den Erreger von Lungenentzündungen, geimpft werden, ließ das Paul-Ehrlich-Institut kürzlich der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg mitteilen. Grund: Der Impfstoff, der den Verlauf von Coronainfektionen abmildern soll, ist derzeit nicht in ausreichender Menge lieferbar. Das ist kein Einzelfall.

 

Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn verzeichnet hunderte von Medikamenten und Wirkstoffen, die nicht mehr sicher geliefert werden können und mit denen frühestens in zwei Wochen, oft aber auch erst in einigen Monaten wieder zu rechnen ist: Darunter sind eine Reihe von Antibiotika und Schmerzmitteln, Medikamente zur Krebsbehandlung und gegen Depressionen, Cholestrin- und Blutdrucksenker und viele andere.

„Das Problem der Lieferengpässe ist für Apotheken, Ärzte, Kliniken und besonders für Patienten in den letzten Jahren zunehmend größer geworden“, erklärte Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) jetzt auf eine parlamentarische Anfrage der CDU-Fraktion im Landtag. Bei einer Umfrage hätten 87 Prozent der Apotheken angegeben, dass sich die Situation 2019 weiter verschärft habe.

Zu wenige Antibiotika und Schmerzmittel

Immer wieder knapp sind mehr als 200 Arzneimittel. So waren beispielsweise von den in Baden-Württemberg 2019 verordneten Blutdrucksenkern je nach Hersteller bis zu 30 Prozent nicht lieferbar. Ein Krebsmedikament ist schwer erhältlich, weil ein Rohstofflieferant aus der Ukraine ausfiel.

Zwar konnte nach Angaben der Apotheken in etwa 95 Prozent der Fälle ein Ersatzmedikament bereitgestellt werden. Zum Teil musste jedoch auf weniger geeignete Wirkstoffe zurückgegriffen werden, so Lucha. Vollständige Ausfälle habe es bisher nicht gegeben. Allerdings erhöhe „das ständige Organisieren von Ersatzlösungen das Risiko von Anwendungsfehlern“. Ärzte und Patienten müssen teilweise Therapien umstellen, weil Ersatzprodukte teilweise andere Wirkungen und Nebenwirkungen haben als die ursprünglich vorgesehenen.

Belastet sind durch die Engpässe aber auch die Apotheken. Durchschnittlich 6,6 Stunden wöchentlich benötigten die Mitarbeiter im vergangenen Jahr, um Ersatz zu beschaffen. Im Jahr zuvor waren dafür 5,6 Stunden nötig.

Grund für die Verschlechterung ist nach Angaben des Sozialministeriums, dass immer mehr Wirkstoffe und Medikamente nur noch von wenigen Herstellern in China, Indien oder anderen Ländern in Fernost produziert werden. Nach dem Ausbruch der Coronaepidemie um den Jahresbeginn und die Abschottung der Provinz Hubei wurden Fabriken geschlossen, Transportwege abgeschnitten. In dieser Region werden Wirkstoffe für mehr als 150 Medikamente produziert, darunter viele, die als wichtig für die Gesamtbevölkerung gelten. Ein weiterer Grund für Engpässe sind Probleme bei der Qualität. Auch Rabattverträge zwischen den Krankenkassen und einzelnen Herstellern trügen zu den Schwierigkeiten bei, so Lucha.

Mehr Produktion in der EU

Um diese Entwicklung zu stoppen, sind aus Sicht des Ministers wieder mehr Anbieter auf dem Arzneimittelmarkt nötig. Zudem müssten bei der Vergabe künftig europäische Produktionsstandorte berücksichtigt und Rabattverträge stets mit mehreren Vertragspartnern abgeschlossen werden. Diese Regelungen müssten allerdings auf Bundes- und auf europäischer Ebene getroffen werden.

Verträge dürften nur noch mit Herstellern geschlossen werden, die Produktionsstätten in unterschiedliche Wirtschaftsräumen vorweisen könnten, darunter in europäischen Ländern, verlangt auch der CDU-Landtagsabgeordnete Albrecht Schütte, Verfasser der Anfrage an das Land. Das könne zu höheren Preisen führen, sei aber für eine sichere Versorgung notwendig. Unterstützung findet er bei der Landesapothekerkammer. Sprecherin Stephanie Köppinger sagt: „Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, damit die Wirkstoffproduktion wieder stärker in Europa stattfindet und entsprechende Qualitätsstandards eingehalten werden.“