In Bhutan gibt es das Bruttonationalglück. Es soll Aufschluss darüber geben, wie es um das Wohlbefinden der Bevölkerung steht. Ha Vinh Tho ist der Direktor des Instituts für Bruttonationalglück in Bhutan. Im Interview erklärt er, was wir von dem kleinen Königreich in Südasien lernen können.
27.01.2017 - 13:00 Uhr
Stuttgart - Der kleine Staat Bhutan hat seit 2008 das Bruttonationalglück in der Verfassung verankert. Hauptziel des kleinen Königreichs in den Bergen Südasiens ist es, dass es den Einwohnern gut geht. Das klingt relativ einfach, dahinter steckt aber ein kompliziertes Konstrukt. Ha Vinh Tho ist Direktor des Instituts für Bruttonationalglück in Bhutan und erklärt, wie wir alle zu zufriedeneren Menschen werden.
Herr Ha Vinh Tho was bedeutet Ihnen persönlich Glück?
Für mich gibt es zwei Ebenen des Glücks. Die eine ist eher vorübergehend und dennoch wichtig. Das sind etwa schöne Momente, die man mit Freunden oder draußen in der Natur haben kann. Dann gibt es etwas, das von dauerhafter Art ist. Dafür sollte man in Harmonie mit sich selbst sein. Und man sollte im Einklang mit seinen Mitmenschen leben. Die Qualität unserer Beziehungen im Leben spielt eine große Rolle in Sachen Glück. Dazu gehört auch das Gefühl, etwas für andere zu tun. Man sollte großzügig und tolerant sein. Dann kommt noch dazu, dass man in Harmonie mit der natürlichen Umwelt lebt. Das sind die drei Grundpfeiler von dauerhaftem Glück.
Warum sind die Menschen in Bhutan glücklicher als anderswo?
Ich weiß nicht, ob diese Aussage wirklich stimmt. In Bhutan haben die Menschen Probleme wie überall auf der Welt. Der Unterschied ist, dass das ganze soziale System, die Wirtschaft und die Politik darauf ausgerichtet sind, dass es den Menschen gut gehen soll. Bruttonationalglück ist ein Versuch, dass das, was in Bhutan schon da war, nicht durch die Modernisierung zerstört wird.
Das Bruttonationalglück ist in der Verfassung verankert und wird auch schon an Schulen unterrichtet. Was bedeutet das in der Praxis?
Das Bruttonationalglück hat als Gesamtvision, dass das Ziel von Politik und Wirtschaft das Wohlbefinden aller Menschen und Lebensformen ist. Das klingt einfach, ist aber kompliziert in der Umsetzung. Im Allgemeinen ist das Ziel der Wirtschaft schlichtweg Wachstum. Profit und Geld sind nur die Mittel, aber keine Ziele. Ziel muss es sein, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Das Bruttoinlandsprodukt ist keine gute Messung. Das kann wachsen, auch wenn es der Bevölkerung schlecht geht. Das Bruttoinlandsprodukt misst nichts, was nicht mit finanziellen Transaktionen zu tun hat. Sind Sie Mutter?
„Die Zeit mit Kindern zählt nicht für das Bruttoinlandsprodukt“
Ja.
Das heißt, Sie werden jetzt bezahlt, wenn Sie im Dienst sind. Aber nicht, wenn Sie sich um die Erziehung kümmern. Die Zeit mit Kindern zählt nicht für das Bruttoinlandsprodukt. Damit aber Kinder gesunde, glückliche Menschen werden, brauchen sie ihre Eltern. Doch Dinge, die wichtig für das Wohlergehen aller sind, gelten nicht, weil sie nicht bezahlt werden.
Wird das in Bhutan gemessen?
Ja, das ist das Bruttonationalglück, bei der freiwillige Arbeit, Hausarbeit und Erziehungsarbeit mit hineinspielen. Es wird alles gemessen, was wichtig ist im menschlichen Leben. Und das bestimmt die politischen Entscheidungen. Dafür braucht man einen Bewusstseinswandel. Solange Kinder damit aufwachsen, dass es das höchste Ziel ist, viel Geld zu verdienen, kann man das nicht erreichen.
Wie bekommen Kinder das beigebracht?
Das Bruttonationalglück steht auf vier Pfeilern. Das ist der Schutz der Umwelt, eine gute Regierung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung – aber nachhaltig und gerecht – und viertens die Wichtigkeit von Kultur, Kunst, Wissenschaft und Spiritualität. Das sind die äußeren Bedingungen. Die treffen wir auch im Schulunterricht wieder. Da gibt es Achtsamkeitsübungen und soziale und emotionale Kompetenzen werden geschult. Das wird als genauso wichtig angesehen wie Mathematik.
Unterscheiden sich die Kinder in Bhutan von jenen in Europa?
Ja und nein. Kinder sind Kinder. Was ich aber bemerke ist, dass die Kinder in Bhutan ruhiger sind, besser lernen und weniger Streit haben.
„Man muss lernen, dankbar dafür zu sein, was man hat.“
Wie werden die Deutschen zu glücklicheren Menschen?
Mich erstaunt, dass Deutschland, Österreich und die Schweiz, wo ich öfter bin, sehr reiche Länder sind. Die Leute besitzen im Schnitt unglaublich viel. Die materiellen Bedingungen sind ziemlich gut, aber die Menschen sehen viel mehr das, was sie nicht haben. Man muss lernen, dankbar dafür zu sein, was man hat. Wir haben warmes Wasser, Licht und so weiter. Wenn man das nicht lernt, ist man ewig unzufrieden. Das sollte man schon Kindern beibringen. Es gibt da eine kleine Übung. Man kann sich jeden Abend in ein Heft schreiben, was an diesem Tag schön war. Das können ganz kleine Sachen sein. So erkennt man, was einem viel Freude macht. Dann kann ich mir für 2017 vornehmen, das mehr zu machen, was mich wirklich erfüllt. Das ist die persönliche Seite, die sehr wichtig ist. Doch man muss sich auch selbst fragen, was man beitragen kann. Menschen, die sich etwa für Flüchtlinge engagieren, fühlen sich dann auch selbst besser. Nicht weil sie etwas bekommen haben, sondern weil sie gegeben haben. Man muss sich bewusst machen, dass wir die Systeme schaffen. Dabei muss man natürlich auch die Rahmenbedingungen mitdenken.
Welche sind das?
Die eine ist die ökologische. Wenn wir da nicht radikal etwas an unserem Konsum ändern, wird es nicht weiter gehen. Das andere ist die Ungleichheit. Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto unglücklicher sind alle. Auch die Reichen. Ungleichheit ist eine soziale Krankheit.
Hat jeder Mensch ein Recht auf gleich viel Glück?
Jeder Mensch hat das Potenzial auf gleich viel Glück. Es ist die Verantwortung des Staates und der Gesellschaft die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Und es ist die Verantwortung des Individuums seinen Teil dazu beizutragen.