Die Firma Coblor mit Sitz in Leonberg fertigt nach eigenen Angaben die weltweit erste Uhr aus Asphalt. Das Material kommt von einer legendären Strecke des Motorsports – dem Nürburgring.
Es ist der 18. November 2021, ein Donnerstag, Nürburgring: Ein großer Bohrer steht mitten auf der ikonischen Rennstrecke, in einer geraden Linie bohrt er kreisrunde Löcher in den Asphalt, eins nach dem anderen. Die Bohrkerne, die dabei zum Vorschein kommen, sind so groß wie eine Hand und vielleicht 30 oder 40 Zentimeter lang. Gut zu erkennen sind auf diesen Zentimetern die Schichten des Asphalts: Oben der neueste, feine Belag, unten jener grobkörnige, über den einst die großen Legenden rasten, knapp 100 Jahre Rennsportgeschichte.
Nikolaos Radis erinnert sich gut an diesen Tag: „Es lag eine historische Atmosphäre in der Luft“, erinnert er sich heute. Caracciola, Senna, Schumacher, Lauda: „Jeder dieser Fahrer ist schon mal über eine dieser Schichten gefahren“, sagt der 45-Jährige. Er ist der Gründer der Firma Coblor mit Sitz in Leonberg. Dort gibt es jenen Asphalt inzwischen zu kaufen, aber nicht als Bohrkern – sondern als Uhren. Das Ziffernblatt besteht aus pechschwarzem Nürburgring-Belag, 500 Stück in zwei Farbvarianten gibt es davon. Es sind die ersten Asphalt-Uhren der Welt, sagt Radis.
Uhrwerk kommt von Schweizer Manufaktur
Während der Coronapandemie habe er sich selbst eine Uhr kaufen wollen – dann aber schnell gemerkt, dass er nicht bereit war, viel Geld für einen Gegenstand zu bezahlen, zu dem er eigentlich keine emotionale Verbindung hat. So kam Radis, selbst Rennsport- und Autofan, die Idee für eine Asphaltuhr. Mit dem Konzept hat er dann offene Türen eingerannt, der Nürburgring als offizieller Partner sei ebenfalls schnell hellhörig geworden, sagt Radis. Während Sanierungsarbeiten an der Strecke konnte Coblor den Asphalt ernten. Hergestellt wird die Uhr aber nicht in Leonberg, sondern von der Manufaktur Concepto mit Sitz in La-Chaux-de-Fonds, einer Schweizer Uhrenhochburg, die etwa auch Uhrwerke für Bulgari fertigen.
Für Nikolaos Radis, der vor seiner Selbstständigkeit als Designer und Fotograf tätig war, sind diese beiden Dinge – Uhren und Rennsport – unvermeidlich miteinander verbunden. Wie ein Rennwagen ist auch eine Uhr, so sagt er, Mechanik, kombiniert mit Design. Und: „Motorsport, ohne die Zeit zu stoppen? Das geht ja nicht.“ Es geht um Zeit, ums Schnellsein, um Speed. Das sieht man der Uhr auch an: Das Armband hat einen Asphalteffekt, die Lünette erinnert an einen Tacho, rot-weiße Details und viele flachschräge Winkel an die „Curbs“, also die Bordsteine einer Rennstrecke. Die Krone der Uhr sieht aus wie ein winziger Reifen. Eine Stoppuhr-Funktion gibt es auch.
Und dann wäre da noch das Ziffernblatt aus Asphalt. Das Makadamlabor in Sindelfingen trennt dafür die einzelnen Kiesel aus dem Bohrkern und vermischt sie anschließend wieder mit dem originalen Bitumen, dem Bindemittel, um das Ziffernblatt zu gießen. So soll jede Uhr die Essenz aller Nürburgringepochen in sich tragen. Anfangs habe man versucht, die Bohrkerne einfach hauchdünn zu schneiden, um so an die Ziffernblätter zu kommen. „Aber das sah aus wie eine Salamischeibe“, sagt Radis. Und es war nicht der Look, den er sich gewünscht hatte: „Wir wollten die Straßenoptik“, sagt er. „Wir sind grob, die Straße ist grob, die Uhr ist grob.“ Viel ausprobieren musste man, bis das Ziffernblatt in seiner aktuellen Form endlich finalisiert war, die Entwicklungszeit betrug rund 20 Monate.
Nur noch 88 Uhren übrig
400 Uhren der auf 500 Stück limitierten Serie sind bisher gefertigt worden – und von diesen 400 sind wiederum auch nur noch 88 Stück übrig. Im Showroom in Leonberg zeigt man zwar hin und wieder Kunden, wie sich die Uhr in live macht, einen Großteil verkauft das dreiköpfige Team von Coblor aber über das Internet. Viele der Sammler seien Rennsportaffine, aber auch uhrenbegeisterte Sammler, berichtet Radis. Nach Indien gingen die Uhren inzwischen, nach Mexiko oder Brasilien.
Die letzten 100 Nürburgring-Uhren will sich Nikolaos Radis für eine Sonderedition aufheben. Und später, da soll auch der Asphalt anderer Rennstrecken in Uhren fließen, man führe bereits Gespräche, sagt der Gründer. Mit seinem Konzept habe er einen Nerv getroffen, findet Radis. „Mehr Motorsportgeschichte in einer Uhr geht nicht.“ Am Ende gehe es eben nicht um den Asphalt an sich, „sondern um einen Bezug zum historischen Boden.“ Dieser emotionale Wert, den die Coblor-Uhren haben sollen, hat aber auch einen stolzen Preis: Exakt 6111,30 Euro kostet ein Exemplar. Der Wert kommt nicht von irgendwo. Er steht für sechs Minuten, 11 Sekunden, 13 Millisekunden – einst langjähriger und legendärer Zeitrekord auf der Nordschleife des Nürburgrings.