Europa stellt die Weichen für gemeinsame Weltraum-Projekte. Im Mittelpunkt der Debatte steht Esa-Chef Jan Wörner, der engagiert für mehr Aufmerksamkeit und Investitionen wirbt. Er bemüht dafür auch die Dinosaurier, warnt vor großen Gefahren und nennt Chancen für das Überleben der Menschheit.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Sevilla - Mit eindrucksvollen Argumenten hat Europas Raumfahrt-Chef Jan Wörner von den Ländern des Kontinents mehr Geld für gemeinsame Weltraumprojekte gefordert.

 

„Wir (Menschen) wollen nicht wegen eines Meteoriten aussterben“, sagte der Vorsitzende der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) in Sevilla zum Auftakt einer als wegweisend geltenden zweitägigen Ministerratskonferenz unter Hinweis auf das wahrscheinliche Schicksal der Dinosaurier.

„Wir Menschen wollen nicht wegen eines Meteoriten aussterben“

Der Aspekt „Überwachen und Schützen“, eine von vier Säulen der künftigen Projektgestaltung der Esa (neben „Erkunden und Entdecken“, „Dienste und Anwendungen“ und „Entwerfen und Betreiben“), liegt dem Deutschen besonders am Herzen.

Bei den Debatten über die Finanzierung der Programme gehe es darum, „Verantwortung zu übernehmen“, sagte Wörner in seiner engagierten Rede vor den Ministern und anderen Vertretern der 22 Mitgliedsländer, der assoziierten Staaten Slowenien und Kanada, der EU und anderer Organisationen und Partner.

Man wolle unter anderem ein System zur rechtzeitigen Entdeckung und zur Abwehr von gefährlichen Himmelskörpern entwickeln und in der Lage sein, auch anderen potenziellen Gefahren wie Sonnenstürmen, die das Leben auf der Erde stark in Mitleidenschaft ziehen können, Paroli zu bieten.

Zu den Risiken gehöre auch der Weltraummüll. Rund 3000 von insgesamt 4500 Satelliten im Weltraum seien etwa nicht mehr aktiv und stellten eine „sehr große Gefahr“ dar.

Raumfahrt ist von großer Bedeutung für das Überleben

„Ich habe in einer Zeitung gelesen, man solle sich wichtigeren Dingen des täglichen Lebens widmen“, erklärte Wörner. Entgegen der Meinung vieler sei Raumfahrt für das tägliche Leben auf der Erde aber von großer Bedeutung. Man stünde vor Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Energie, Ressourcen und Konflikte. „All diese Herausforderungen sind Teil von dem, was wir machen.“

Die 30-minütige Rede machte Eindruck. „Inspirierend und spektakulär“, nannte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó die Ausführungen. „Nun wissen wir, worum es geht.“

„Die Botschaft lautet: Die Menschen wollen Raumfahrt“

Doch wie viel Geld ist nötig, um diese Herausforderungen zu meistern? Die Esa hatte 2019 einen Gesamtetat von 5,72 Milliarden Euro, der zu 73 Prozent von den Mitgliedsländern finanziert wurde. Deutschland ist mit 927 Millionen Euro nach Frankreich (1,2 Milliarden Euro) der zweitgrößte Beitragszahler. Hinzu kommen Beiträge institutioneller Partner wie der EU.

Nun wird für die nächsten drei Jahre ein Anstieg von rund zehn Prozent angestrebt. Wörner betonte, man verlange von den Mitgliedsländern einen Beitrag von lediglich acht Euro pro Jahr und Bürger. In einer Umfrage unter 5000 Europäern habe die Esa ermittelt, dass die Menschen bereit seien, im Schnitt 287 Euro pro Kopf und Jahr auszugeben. Wörner: „Die Botschaft lautet: Die Menschen wollen Raumfahrt.“

Entscheidend dürfte für die Minister und Experten der Länder derweil die Frage sein, ob man weiterhin in fast allen Raumfahrt-Sektoren mit jeweils geringeren Beträgen mitspielen oder aber klare Prioritäten setzen will. Die Konkurrenz schläft nicht. Das US-Unternehmen SpaceX von Elon Musk baut billigere Trägerraketen, die zudem – im Gegensatz zu Ariane – wiederverwendbar sind.

Asteroiden-Abwehr: Raumsonden als Rammbock

Die Gefahr kommt aus den Tiefen des Weltalls. Ein massiver Gesteinsbrocken rast durch das Sonnensystem auf die Erde zu – auf Kollisionskurs. Ein Einschlag könnte – je nach Größe – Landstriche oder Kontinente verwüsten. Wie jener Asteroid, der vor etwa 65 Millionen Jahren das Aussterben der Dinosaurier verursacht hat.

Nach Angaben der Europäischen Weltraumagentur Esa sind 21 443 Asteroiden mit einem Durchmesser von 100 Metern oder mehr bekannt, die irgendwann auf die Erdoberfläche aufschlagen oder in geringer Höhe in einem Feuerball explodieren könnten. Ziel der geplanten Mission Hera der Esa ist es demnach, das bisherige Wissen über erdnahe Asteroiden (sogenannte Near Earth Objects, Neos) zu vertiefen und Weltraummissionen zu planen, welche die Erde vor gefährlichen Einschlägen schützen könnten.

Kooperation von Esa und Nasa

Zusammen mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa arbeiten die europäischen Wissenschaftler im Rahmen des AIDA-Programms (Asteroid Impact & Deflection Assessment) daran, Ablenkungsmanöver durch einen sogenannten kinetischen Impaktor zu testen. Raumsonden sollen dabei mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit den Asteroiden rammen und ihn so von seinem Kurs abbringen, wie es beim Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik (EMI) in Freiburg heißt.

„Durch den Zusammenstoß des Asteroiden mit einem künstlichen Projektil, eines sogenannten kinetischen Impaktor, kann die Flugbahn so weit abgelenkt werden, dass die Kollision mit der Erde verhindert wird“, schreibt die Esa.

Feuer am Himmel und eine immense Druckwelle

„Wir haben eine Liste von knapp 870 Objekten, die eine Möglichkeit haben in den nächsten 100 Jahren die Erde zu treffen“, erklärt der Leiter des Büros für Planetenschutz im Satellitenkontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur Esa , Rüdiger Jehn.

In die Atmosphäre eintauchende und explodierende Himmelskörper können schon mit einem Durchmesser von 20 Metern massive Zerstörung verursachen. „Die Druckwellen werden mit den gleichen Sensoren ermittelt wie bei Atomwaffentests“, ergänzt der Chef des von Darmstadt aus operierenden Esa-Büros für Raumfahrtrückstände, Holger Krag. Da werde ein Vielfaches an Energie einer Hiroshima-Bombe frei.

1908/2013: Einschläge in Sibirien

Vor sechs Jahren richtete die Explosion eines Asteroiden dieser Größe in der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk Verwüstungen an. Mit einem ohrenbetäubendem Knall raste eine Druckwelle über das Land.

Die Explosion des 16 000-Tonnen-Brockens verletzte am 15. Februar 2013 etwa 1500 Menschen. Eine Vorwarnung gab es damals nicht.

Gut 100 Jahre zuvor hatte es schon einmal Russland getroffen. In der einsamen Tunguska-Region in Sibirien gab es einen Feuerball und dann die Explosion eines 40-Meter-Asteroiden. Die Naturkatastrophe am 30. Juni 1908 fegte Millionen Bäume auf einer Fläche fast so groß wie das Saarland weg.

Aufgrund dieses Ereignisses riefen die Vereinten Nationen 2016 den 30. Juni zum Internationalen Asteroidentag aus.

Im Moment droht kein Crash-Szenario

„Es ist unsere Aufgabe, die Menschen zu schützen“, so Esa-Experte Jehn. Um den Himmel besser scannen zu können, will die Esa in naher Zukunft spezielle Teleskope auf Sizilien und später in Chile aufbauen. Kosten: 20 Millionen Euro pro Stück. „Bei einem Objekt von 20 Metern Größe können wir dann eine Woche oder zehn Tage vorher vorwarnen.“

Himmelskörper auf Kollisionskurs

Als Asteroiden bezeichnen Weltraumexperten astronomische Kleinkörper mit einem Durchmesser ab einem Meter, die die Sonne umrunden. Und die gibt es reichlich. Jehn: „Ein-Meter-Objekte treffen uns regelmäßig, das kommt mehrfach im Jahr vor.“

Große Asteroiden, die auch mal zehn Kilometer Durchmesser erreichen, werden als „global killer“ („globale Zerstörer“) bezeichnet, Der Asteroid, der vor rund 65 Millionen Jahren das Ende der Dinosaurier einläutete, war so einer. Alle 100 Millionen Jahre etwa tritt im Durchschnitt ein solch zerstörerisches Ereignis auf.

Aber die Weltraumexperten sollen nicht nur warnen, sondern auch schützen. Sollte ein solcher Brocken in seiner Flugbahn wieder Kurs auf die Erde nehmen, gibt es für die ESA nur zwei Möglichkeiten: ablenken oder zerstören.

So funktioniert Asteroiden-Verteidigung

Es gibt einige Vorschläge, von Sonnenspiegeln bis zu Wasserstoffbomben. Technisch oder finanziell umsetzbar sind die meisten davon allerdings nicht. Für die größeren Brocken setzen Experten auf den bereits erwähnten kinetischen Impakt.

Auch Raketen – also der Einsatz von Einschlagprojektilen zur Bahnablenkung – sind eine Option. So will die US-Raumfahrtbehörde Nasa laut Jehn 2022 eine Rakete auf einen Asteroiden schießen und prüfen, wie stark er durch den Einschlag abgelenkt wird. Atomsprengköpfe seien bei der Esa nicht geplant, so Jehn, dies könne aber für die Amerikaner durchaus eine Option sein.

Was geschieht bei einem Deep Impact?

Bei Asteroiden von bis zu 400 Metern Durchmesser müsste man sich vor allem vor gleichzeitig auftretenden Windstößen und Druckwellen schützen, haben Forscher herausgefunden. Das Team um den Physiker Clemens Rumpf von der Universität Southampton in Großbritannien hatte 2017 untersucht, welcher Effekt eines einschlagenden Asteroiden (englisch: Deep impact) auf der Erde die gravierendsten Folgen für die Menschen und damit die meisten Opfer hätte.

In ihrer im Journal „Geophysical Research Letters“ veröffentlichten Studie analysierten die Forscher die Verteilung der möglichen Opfer nach sieben wahrscheinlich auftretenden Effekten: Tsunamis, fliegende Trümmer, Schockwellen, Hitze, Erdbeben, Winde und Kraterbildung.

Die große Wellen

Bei Einschlägen ins Meer führen Tsunamis naturgemäß zu den meisten Opfern. Insgesamt gesehen gehe davon jedoch keine so große Gefahr aus wie von Einschlägen auf der Erde, schreiben die Wissenschaftler.

Besonders gefährlich seien bei letzteren atmosphärische Druckwellen, die sich mit Überschallgeschwindigkeit ausbreiten, und dabei entstehende starke Winde. Sie seien für über 60 Prozent der Todesopfer bei Einschlägen von Asteroiden bis 400 Metern Durchmesser verantwortlich.

Die Wellen, die durch den steigenden Druck in der Atmosphäre entstehen, und Windstöße, die die Druckunterschiede ausgleichen, könnten Menschen durch die Luft schleudern und Gebäude einstürzen lassen. Der Wind könne die Geschwindigkeit von Orkanen überschreiten.

Die Konsequenzen? Unvorstellbar

In ihrem Computermodell ließen die britischen Forscher 50 000 Asteroiden mit 15 bis 400 Metern Durchmesser auf die Erde treffen. Die Ergebnisse könnten Krisenmanagern bei der Vorbereitung auf einen drohenden kosmischen Einschlag helfen, kommentiert Rumpf. Bei kleineren Einschlägen könne die Bevölkerung Schutz etwa in Kellern suchen, bei größeren Asteroiden seien Evakuierungen unumgänglich.

Ein Asteroid mit rund 60 Metern Durchmesser trifft laut Rumpf im Schnitt etwa alle 1500 Jahre auf die Erde, ein rund 400 Meter großer alle 100 000 Jahre. „Die Wahrscheinlichkeit eines Asteroideneinschlags ist wirklich gering. Aber die Konsequenzen können unvorstellbar sein.“