Die europäische Sonde kartografiert seit zwei Jahren die Milchstraße genauer als jedes andere Teleskop zuvor.

Stuttgart - Auf die Frage, wie viele Sterne am Himmel stehen, gibt es bald eine verblüffend exakte Antwort – zumindest, wenn es um die Sterne aus unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, geht. Denn die europäische Sonde Gaia vermisst die Milchstraße so genau wie keine andere Sonde zuvor. Jetzt wurde eine erste Karte mit mehr als einer Milliarde Sterne veröffentlicht. Bis zum Ende der Mission werden diese Himmelskörper weitaus genauer vermessen, so dass die Astronomen daraus eine dreidimensionale Karte errechnen können, die völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Im spanischen Villafranca, dem Standort der wissenschaftlichen Missionsleitung wurde nun die erste Version vorgestellt: Gaia DR1 (für Data Release, also Datenveröffentlichung). Aber das ist nur ein erstes Appetithäppchen – Ende nächsten Jahres wird ein Datenpaket folgen, das 500-mal größer und viel genauer ist.

 

Auch in Heidelberg hat man diesen Tag gefeiert, denn am astronomischen Rechen-Institut am astronomischen Zentrum der Uni Heidelberg (ARI) sitzt das größte der vier deutschen Teams, die an der Mission beteiligt sind. Unter Leitung von Ulrich Bastian, einem der Begründer des Projekts, ist hier ein großer Teil der Software zur Auswertung der Mission erstellt worden. Hier werden die Daten, welche die Sonde von ihrem 1,5 Millionen Kilometer weit entfernten Standort am sogenannten Lagrange-Punkt 2 zur Erde sendet, täglich überprüft und aufbereitet. Ein Team des Lohrberg-Observatoriums an der TU Dresden ist für die Überprüfung der Daten zuständig, mit von der Partie sind Forscher am Max-Planck-Institut für Astronomie auf dem Königsstuhl sowie in Potsdam.

Europäische Forschungsmission

Gaia ist die zweite Mission der Europäischen Weltraumagentur (Esa) zur Vermessung der Milchstraße. Auch die Arbeit der Hipparcos-Sonde Mitte der Neunziger galt als Erfolg – damals wurden rund 118 000 Sterne katalogisiert. Das Kepler-Teleskop der US-Weltraumbehörde Nasa hat ebenfalls ungefähr so viele Sterne untersucht, allerdings nur in einem bestimmten Farbspektrum. Gaias Katalog ist 20-mal größer, wie Ulrich Bastian betont, der an beiden Projekten gearbeitet hat. Was Gaias Arbeit in den Augen von Astronomen vor allem auszeichnet, ist nicht die Menge an untersuchten Objekten, sondern die Präzision. Zwar wird Gaia am Ende trotz allem nur etwa ein Prozent aller Sterne in der Milchstraße vermessen haben. „Aber damit lässt sich schon was anfangen“, wie Bastians Nachfolger Michael Biermann gestern in Heidelberg nicht ohne Stolz sagte.

Von etwa zwei Millionen Sternen werden sogar alle sechs Parameter vorliegen, die nötig sind, um nicht nur ihre Position, sondern auch ihre Bewegung im Raum zu erkennen und damit simulieren zu können. Das verspricht völlig neue Erkenntnisse – etwa im Hinblick auf die Struktur der Milchstraße. Noch immer sind sich die Forscher nicht schlüssig darüber, wie sie wohl aussehen würde, könnten wir sie von außen sehen. So wird etwa in Fachkreisen heftig darüber gestritten, wie viele Spiralarme sie nun hat – zwei oder vier. Im Augenblick gehen die meisten Forscher von vier Spiralarmen aus. Aber wie sie entstehen und warum, lässt die Astronomen noch immer rätseln. Ulrich Bastian ist am meisten gespannt darauf, ob die Forscher hier mit Gaias Hilfe weiter kommen.

Quantensprung für die Exoplanetenforschung

Die Bewegungen der Sterne genau nachvollziehen zu können wird auch jene Wissenschaftler interessieren, die sich mit der dunklen Materie beschäftigen, die sich vor allem in den Außenbezirken der Galaxie zu befinden scheint. „Die auf die Sterne wirkenden Kräfte drücken sich vor allem in der Verteilung ihrer Geschwindigkeiten aus“, sagt Ulrich Bastian. Bisher lässt die Diskrepanz zwischen den erklärbaren Kräften und den gemessenen Geschwindigkeiten die Forscher rätseln. Das könnte sich mit den Gaia-Daten ändern.

Ein Quantensprung wird Gaias Arbeit wohl nicht zuletzt für die Exoplanetenforschung bedeuten. „Wir rechnen mit der Entdeckung mehrerer Zehntausend neuer Exoplaneten“, meint Ulrich Bastian. Mithilfe des Kepler-Teleskop sind bisher rund 3000 Exoplaneten entdeckt worden, und zwar überwiegend solche, die ihren Stern in viel kleinerem Abstand umkreisen als die Planeten unseres Sonnensystems. Aufgrund der unterschiedlichen Methoden wird die Bandbreite bei den Entdeckungen Gaias wohl viel größer sein. Ulrich Bastian glaubt, dass damit auch völlig neue Einblicke in die Entstehung von Planeten möglich sein werden.

Es ist deshalb kein Wunder, dass die Euphorie schon vor der Veröffentlichung der ersten Daten groß war. „Gaia wird revolutionieren, was wir über die Sterne und unsere Galaxie wissen“, sagte etwa der Astronom David Hogg von der New York University der Fachzeitschrift „Nature“.

Wie Gaia arbeitet

Standort
Gaia ist im Weltall an einem für die Beobachtung besonders günstigen Ort stationiert, dem sogenannten Lagrangepunkt 2. Hier, rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, heben sich die Gravitationskräfte von Erde und Sonne auf. Von dort aus untersucht der etwa drei Meter große Satellit den Himmel. Er braucht für seine Messungen etwa so viel Energie wie eine Geschirrspülmaschine. Diese liefern Solarzellen auf der Außenseite des elf Meter großen Schirms.

Instrumente
Gaia erfasst die Objekte am Himmel mithilfe zweier gleicher Spiegelteleskope und einer Digitalkamera, die simultan arbeiten und in einem Winkel von 106 Grad angeordnet sind. Die Sonde rotiert, so dass sie in sechs Stunden einmal 360 Grad absucht. Im Lauf von Monaten wird die Achse dann verlagert, so dass nach und nach die gesamte Umgebung der Sonde untersucht werden kann.

Probleme
Im Großen und Ganzen arbeite Gaia wunderbar, sagen die Astronomen. Zwei Probleme gibt es trotzdem. Nach der Ankunft am Standort wurde klar, dass die Teleskope leicht vibrieren. Außerdem gefriert die Optik immer wieder zu und muss beheizt werden. Beides lasse sich mit etwas mehr Aufwand beherrschen, heißt es.