Erstmals haben Forscher die Kollision zweier Neutronensterne beobachtet – und das mit verschiedenen Methoden gleichzeitig.

Washington/Garching/Heidelberg - Seit Wochen wird darüber spekuliert, warum in der Nacht des 18. August alle Teleskope weltweit auf ein und denselben Punkt gerichtet waren. Hatten Gravitationswellen auf ein Ereignis hingewiesen, das auch mit anderen Instrumenten beobachtet werden konnte?

 

Nun gibt es Gewissheit: In mehreren Pressekonferenzen weltweit berichteten Forscher aus 70 beteiligten Institutionen, dass sie erstmals gemeinsam die spektakuläre Verschmelzung zweier Neutronensterne beobachtet haben. „Das ist, als würde man einen Vulkan untersuchen, hätte zunächst nur ein Schwarzweiß-Foto und säße wenig später in einem 3D-Kino, das einem das Gefühl gibt, man wäre mitten im Vulkan“, sagte Laura Cadenati bei der zentralen Pressekonferenz des Ligo-Observatoriums in Washington. Ligo war kürzlich für die erste Messung der Wellen mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet worden.

Zwar sind noch viele Fragen offen – unter anderem wissen die Forscher nicht genau, ob bei diesem Ereignis ein leichtes schwarzes Loch oder ein sehr schwerer Neutronenstern entstanden ist. Dennoch waren sie sich alle einig: „Das bedeutet den Durchbruch für gemeinsame Beobachtungen“, sagte David Shoemaker von Gravitationswellen-Observatorium Ligo. Damit können die Astronomen Veränderungen in der Raumzeit beobachten. So nennen sie das Netz, zu dem Raum und Zeit in ihren Modellen verwoben sind.

Die erste konzertierte Beobachtung

Das erste Signal hat in diesem Fall offenbar der europäische Detektor Virgo in Italien gemessen. Sekunden später kam es auch bei den beiden Detektoren des Ligo-Observatoriums in den USA an. Wie schon wenige Tage zuvor am 14. August, gelang es Ligo und Virgo schnell, die Quelle zu orten. Das Signal kam aus dem Sternbild Hydra, aus einer alten Galaxis namens NGC 4993, die etwa 130 Millionen Lichtjahre entfernt ist. „Aufwachen! Dieser Kandidat hat einen Freund“ lautete eine der E-Mails, die wenig später bei den Forschern am Fermi-Teleskop der US-Weltraumbehörde Nasa einging und ihnen klar machte, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging.

Als die Nacht in Chile hereinbrach, richteten sich zunächst die großen Teleskope dort auf diese Region des Himmels. In den folgenden Stunden wurde die Aufregung immer größer. Nach und nach unterbrachen praktisch alle Teleskope weltweit ihre Arbeit, um das Geschehen ebenfalls zu verfolgen – darunter auch das Hubble-Teleskop und sämtliche Instrumente der Europäischen Sternwarte ESO. „Als das Signal auf unseren Schirmen erschien, begriff ich sofort, dass dies das das ungewöhnlichste Ereignis ist, das ich je gesehen habe,“ sagt Stephen Smartt, Leiter der zuständigen Forschungsgruppe bei der ESO. Es war das allererste Mal, dass ein astronomisches Ereignis gleichzeitig mit Gravitationswellen-Observatorien und herkömmlichen Instrumenten aufgezeichnet wurde. „Dass die beiden Welten bei dieser Beobachtung auf einen Schlag zusammen wachsen, ist etwas fundamental Neues“, sagt Markus Pössel vom Heidelberger Institut für Astronomie.

Rätselhafte Sterne

Neutronensterne haben die Forscher bisher vor viele Rätsel gestellt. Es handelt sich um extrem massereiche Sterne, die am Ende ihres Lebenszyklus stehen. Ihre Masse beträgt etwa das anderthalbfache oder zweifache der Sonne, allerdings ist die Masse auf ein viel kleineres Volumen verdichtet: In der Regel haben solche Sterne einen Durchmesser von etwa 15 Kilometern. Über die Prozesse im Inneren ist bisher nicht viel bekannt – nur dass sie unter den extremsten Bedingungen ablaufen, die man im Universum finden kann. Eine Verschmelzung der kleinen, extrem verdichteten Sternkugeln ist eines der spektakulärsten Ereignisse im Weltall überhaupt. „Mit den Daten, die wir jetzt haben, werden wir die Eigenschaften dieser dichten Materie verstehen lernen“, sagte Laura Cadenati.

Die Daten haben eine weitere wichtige Frage beantwortet: Wie und wo schwere Metalle sowie ein Teil der radioaktiven Elemente im Universum entstehen. Während das Innere eines Neutronensterns kollabiert, wird ein anderer Teil mit einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit ins All hinaus geschleudert. Dabei entstehen Metalle wie Gold, Platin oder Neodym sowie radioaktive Elemente wie Cäsium oder Uran. Bei dieser Explosion sei Gold im Umfang von zehn Erden entstanden, sagte Edo Berger von der Harvard Universität. Über den Ursprung dieser Elemente war bisher nur spekuliert worden.

Ein neues Lineal für kosmische Distanzen

Die Entdeckung dürfte ein Vorgeschmack darauf sein, was ab Ende 2018 zu erwarten ist, wenn die Gravitationswellen-Observatorien mit deutlich größerer Empfindlichkeit als je zuvor ihre Arbeit wieder aufnehmen. Verschmelzungen dieser Art sind offenbar viel häufiger als bisher angenommen. Das lässt erwarten, dass sie dann regelmäßig aufgezeichnet werden. „Mit anderen Worten: Wir könnten Statistik führen“, sagt Markus Pössel vom Max Planck Institut für Astronomie in Heidelberg.

Kollisionen dieser Art könnten auch helfen, eine der wichtigsten Fragen der Astrophysik zu lösen: Wie schnell dehnt sich das Universum aus? Bisherige Berechnungen liefern hier widersprüchliche Zahlen. Ein möglicher Maßstab für die Ausdehnung wären aber auch Signale von Gravitationswellen, wie Bernard Schutz, der frühere Leiter des Albert Einstein-Instituts vor Jahrzehnten postuliert hat. Damit gäbe es einen zweiten, unabhängigen Weg, die Ausdehnung des Weltalls zu ermitteln.