Mehr als 71 000 Asylbewerber warten aktuell in Deutschland auf den Bescheid, ob sie bleiben dürfen. Ein schwieriges Stadium, denn die Menschen dürfen ein Jahr lang keiner Arbeit nachgehen. Schwäbisch Gmünd fordert jetzt eine neue Regelung.

Schwäbisch Gmünd - Szenen im deutschen Sommer 2013: vor dem Integrationsministerium in Stuttgart demonstrieren seit Wochen Flüchtlinge aus dem Main-Tauber-Kreis gegen die ihrer Ansicht nach unwürdige Unterbringung. In Schwäbisch Gmünd wird Oberbürgermeister Richard Arnold in der sogenannten Kofferträgeraffäre des Rassismus beschuldigt. Und im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf eskaliert ein seit Wochen schwelender Streit über ein neu eröffnetes Asylbewerberheim, weil die Rechten das Thema nutzen, um gegen Ausländer Stimmung zu machen.

 

Als Argument dienen ihnen auch die jüngsten Zahlen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, denn die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist so hoch wie seit 1999 nicht mehr. Allein im Juli 2013 beantragten 9516 Menschen erstmals bei der Behörde Asyl. Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat sich die Zahl damit mehr als verdoppelt. In Baden-Württemberg, das genau 12,93143 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen muss, stieg die Zahl der Erstanträge im Zeitraum Januar bis Juli von 3081 auf 6380 (2012 auf 2013). Die meisten der im Land Gestrandeten stammen aus der Ex-UdSSR und Pakistan. Auch der Brandherd im Nahen Osten zeitigt Wirkung: Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien stellen bereits die drittgrößte Gruppe (574 gegenüber 192 im Vergleichszeitraum 2012).

Der Innenminister nennt die Zahlen alarmierend

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nennt diese Zahlen in Wahlkampfzeiten prompt alarmierend – doch liegen sie weit unter den Rekordjahren Mitte der 90er Jahre. 14,6 Prozent der Antragsteller hat das Bundesamt im ersten Halbjahr 2013 als Flüchtlinge anerkannt und für weitere 15,5 Prozent Abschiebungsverbote ausgesprochen. „Anderweitig erledigt“ haben sich 30,3 Prozent der Anträge, etwa weil sie, so die offizielle Erklärung, zurückgezogen wurden. Abgelehnt wurden 39,6 Prozent der Anträge. Aussagekräftiger aber ist die Tatsache, dass nur 39 000 Anträge bearbeitet wurden. Mehr als 71 000 Asylbewerber warten aktuell noch auf eine Entscheidung, die im Regelfall Monate, ja bis zu zwei Jahre dauern kann.

Die Zahlen sagen noch nicht viel aus über die Probleme vor Ort. Und die sind groß. Ein Jahr lang, so schreibt es die Rechtsprechung vor, dürfen Asylbewerber in Deutschland nicht arbeiten. Wie Grünen-Chef Cem Özdemir fordert der Schwäbisch Gmünder OB Arnold eine Aufhebung des Arbeitsverbots nach sechs Monaten: „Wer zum Nichtstun verdammt ist, gleitet ab in Teilnahmslosigkeit oder gar Kriminalität.“ Gemeinsam mit der Deutschen Bahn und dem Arbeitskreis Asyl entwickelte der CDU-Politiker ein Projekt, bei dem Asylbewerber – freiwillig – während der Baumaßnahmen am Bahnhof den Reisenden behilflich waren. 1,05 Euro, die gesetzlich zulässige Höchstvergütung, erhielten die Gepäckträger als Entlohnung. Ein medialer Aufschrei war die Folge. Kritiker, vor allem Politiker der Linken im Bundestag, sprachen von Ausbeutung und Hungerlohn.

Geld oder Sachleistungen für Asylbewerber?

Die Flüchtlinge – 250 Menschen sind derzeit in Schwäbisch Gmünd untergebracht – sind inzwischen wieder in ihre Unterkünfte in einer ehemaligen Kaserne der US-Armee zurückgekehrt. Arnold ist trotz des Gegenwinds von der Aktion überzeugt: „Die selbst ernannten Moralwächter haben nur dafür gesorgt, dass die Flüchtlinge wieder zurück in den stupiden, beschäftigungslosen Alltag in der Unterkunft müssen.“ Begegnung, ein strukturierter Alltag, eine sinnvolle Aufgabe und der Kontakt zur Stadt selbst seien Voraussetzungen für Integration, sagt Arnold. Als gelungenes Beispiel nennt er die Aufführung der Staufersaga zum Stadtjubiläum 2012, bei der zahlreiche Asylbewerber mitgeholfen und mitgewirkt hätten.

Im Ostalbkreis, zu dem Schwäbisch Gmünd gehört, erhalten Asylbewerber schon längst Geld statt Sachleistungen ausbezahlt – auch das ist eine der Forderungen der Flüchtlinge aus dem Main-Tauber-Kreis, die in Stuttgart protestieren. Nachdem sich die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) eingeschaltet hatte, gab der Landrat Reinhard Frank (CDU) dem öffentlichen Druck nach: Der Kreis wird vom 1. Januar 2014 an auf Bargeld umstellen. Doch nach wie vor setzen viele der 44 Stadt- und Landkreise auf Wertgutscheine – eine Praxis, welche die Betroffenen als unwürdig kritisieren.

Integration gelingt in der Stadt oft besser als auf dem Land

Am Flüchtlingsheim in Külsheim (Main-Tauber-Kreis) lässt sich ein weiteres Problem festmachen: Integration im multikulturell geprägten städtischen Umfeld – wo allerdings bereits Wohnungsnot herrscht – ist leichter zu erreichen als auf dem Land, wo schlechte Nahverkehrsverbindungen und oftmals auch unterschwellige Ablehnung von Seiten der Bevölkerung die Menschen isolieren. Dass solchen Situationen mit Engagement begegnet werden kann, zeigt jedoch ein Beispiel aus dem Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. Dort hatte die Ankündigung, im 600-Seelen-Dorf Altglashütten 95 Asylbewerber unterzubringen, Proteste der Bewohner hervorgerufen. Diese zeitigten Wirkung, die Zahl wurde auf 45 Flüchtlinge reduziert. Sie werden heute von Ehrenamtlichen unterstützt, die sie in deutscher Sprache unterrichten und zum Einkaufen fahren. „Es ist kein Idyll, aber wir versuchen, die Unterbringung im Einklang mit den Kommunen zu lösen, dann entstehen keine Ressentiments“, sagt der Sprecher des Landratsamtes, Matthias Fetterer.

OB Arnold fordert, dass die Städte und Kreise mehr Freiräume und Zuständigkeiten in der Asylpolitik bekommen. Gemeinnützige Praktika, wie sie Flüchtlinge in Schwäbisch Gmünd freiwillig machen können, seien juristisch gesehen eine Grauzone. Er verweist auf drei Jugendliche aus Afghanistan, die hier eine Ausbildung machen möchten: „Dann müssten wir die Sicherheit haben, dass sie in der Zeit nicht abgeschoben werden.“ Außerdem kritisiert er die Vorschrift, dass die Menschen „grundsätzlich“ in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen sind: „Zu viele Menschen auf engstem Raum, das ist einer Integration nicht förderlich.“ Kommt die Novelle des Flüchtlingsunterbringungsgesetzes von Ministerin Öney nach der Sommerpause durch, ist auch diese Vorschrift im Südwesten Geschichte.