Die in Stuttgart gegen ihre Unterbringung im Main-Tauber-Kreis demonstrierenden Asylbewerber handeln unter dem Eindruck eines radikalen Aktivisten, der auch andernorts Flüchtlinge schon aufgestachelt hat.

Tauberbischofsheim/Stuttgart - Tauberbischofsheim: sein Markenzeichen ist eine braune Schildkappe. Auf einem Foto im Blog der in Stuttgart demonstrierenden Flüchtlinge aus dem Main-Tauber-Kreis ist der Iraner Arash Doosthossein eindeutig zu identifizieren. Ein anderes Foto zeigt ihn als radikalen Aktivisten beim Hungerstreik der Asylbewerber in München Ende Juli. Es ist zu vermuten, dass Doosthossein versucht, die in den Asylbewerberheimen in Bad Mergentheim und Külsheim untergebrachten Männer zu radikalisieren, wie er es offenbar bereits bei den Protesten in München und Würzburg getan hat. Der Tenor der Verlautbarungen, die der Bundesrepublik pauschal die Schuld an der Situation in ihren Heimatländern geben, ist der gleiche.

 

Die Spur des Iraners lässt sich im Internet verfolgen. Ende Juli ließ er sich während des Hungerstreiks am Münchner Rindermarkt von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („Hungern, bis der Antrag durch ist“) fotografieren und interviewen. Er behauptete darin, Mitglied einer kommunistischen Untergrundorganisation und in Teheran von Geheimpolizisten „mit Stromkabeln des deutschen Glühbirnenherstellers Osram“ gefoltert worden zu sein. Bis heute trage er Verbrennungsnarben am ganzen Körper. Die Polizei hatte das Zeltlager in der bayerischen Landeshauptstadt Ende Juli geräumt, nachdem einige der Hungernden den Angaben zufolge in Lebensgefahr schwebten.

Protestmärsche angekündigt

Außerdem kündigte Doosthossein vom 15. August an zwei Protestmärsche von Würzburg und Bayreuth nach München an, um weitere Flüchtlinge für ihre Aktionen zu gewinnen. Er rief dazu auf, dass sich Asylbewerber, die entlang der Strecke in Gemeinschaftsunterkünften leben, ihnen anschließen sollten.

Der Iraner war auch an den Hungerstreiks vor dem Brandenburger Tor im November 2012 in Berlin beteiligt. Im Juli 2012 ließ er sich in Würzburg die Lippen zunähen, um die Ernsthaftigkeit seines damaligen Hungerstreiks zu untermauern. Sein Vorgehen postete er in sozialen Netzwerken. Über politische Blogs ist er mit Gleichgesinnten und Unterstützern vernetzt. Die Stadt Würzburg erließ damals ein Verbot der Selbstverstümmelung, das vom Würzburger Verwaltungsgericht unter Verweis auf die Meinungsfreiheit aufgehoben wurde. Droht nun auch in Stuttgart eine solche Eskalation?

Die Behörden beobachten

Diese will die Stadt unbedingt verhindern. 14 Demonstranten – Flüchtlinge und Unterstützer – hat Gerald Petri vom Amt für öffentliche Ordnung am Donnerstagmorgen gezählt: „Wir begleiten die Proteste, versuchen, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben. Ein Notarzt schaut regelmäßig vorbei.“ Auch die Staatsanwaltschaft und die Stuttgarter Polizei beobachten die Situation. „Solange aber keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorliegt, schreiten wir nicht ein“, sagt ein Polizeisprecher.

Am Montag hatten die vor dem Stuttgarter Integrationsministerium demonstrierenden Asylbewerber ihren fünftägigen sogenannten feuchten Hungerstreik unterbrochen – sie nahmen kein Essen zu sich, tranken aber. Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) war in den nördlichsten Landkreis Baden-Württembergs gefahren, um die Heime in Bad Mergentheim und Külsheim zu besuchen, mit den Menschen zu sprechen und zwischen Landkreis und Asylbewerbern zu vermitteln. Das Ergebnis der Reise war die erneute Zusage von Main-Tauber-Landrat Reinhard Frank, wie gefordert von Sachleistungen auf Geld umzusteigen, allerdings erst von 1. Januar 2014 an. Das zweite Zugeständnis: von Oktober an werde das Kleidergeld bar ausbezahlt – das sind 32 Euro pro Person und Monat. Ob sich die Asylbewerber mit diesen kleinen Erfolgen zufriedengeben und einlenken? Oder sind sie gar nicht mehr Herren ihrer Entscheidungen?

Unerfüllbare Forderungen

Joachim Pampel, der für Flüchtlinge zuständige Abteilungsleiter im Integrationsministerium, hatte bereits im Juli im Main-Tauber-Kreis zu vermitteln versucht. Er ist täglich mit den Demonstrierenden im Gespräch. „Die Männer wirken unentschlossen“, sagt er, „ihren Hungerstreik haben sie aber zum Glück nicht wieder aufgenommen, sie haben auch nicht damit gedroht.“ Neben der Umstellung auf Geld statt Sachleistungen verlangen die Asylbewerber die Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte, Arbeitserlaubnis für alle, die Möglichkeit zum deutschen Spracherwerb sowie uneingeschränkte medizinische Behandlung und den Stopp aller Abschiebungen – Forderungen, auf die Öney, selbst wenn sie es wollte, gar keinen Einfluss hat.

Sie lässt nun klären, ob die Asylbewerber, wie sie behaupten, Anspruch auf eine Erwerbstätigkeit haben. Nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland ist das Arbeitsverbot für Asylsuchende dahin gehend gelockert, dass „mit Erlaubnis der Behörde“ eine Beschäftigung möglich ist – freilich nur, wenn kein Deutscher oder anderer EU-Bürger den Job annehmen würde.

Atmosphärische Störungen

Auch atmosphärisch scheint in den Main-Tauber-Heimen einiges im Argen zu liegen. Die Männer fühlen sich insbesondere von der Heimleitung nicht anständig behandelt, wie sie den Journalisten beim Besuch der Ministerin in Bad Mergentheim und Külsheim sagten. Ihre Forderung, in einem anderen Landkreis untergebracht zu werden, sieht das Ministerium für Integration allerdings als nicht praktikabel an. Ein Sprecher von Ministerin Öney sagte: „Wenn wir uns darauf einlassen, schaffen wir einen Präzedenzfall.“

Theoretisch kann ein Flüchtling einen Antrag auf Verlegung bei der örtlichen Ausländerbehörde stellen. Um diesem Ansinnen stattzugeben, muss es aber gravierende Gründe geben. Und es muss ein konkretes Arbeitsangebot aus dem Wunschkreis vorliegen. Unklar wäre dann aber, wie die Finanzmittel des Landes bei einem Wechsel verteilt würden: 12 270 Euro beträgt die einmalige Pauschale aus Stuttgart bei Zuweisung eines Asylsuchenden in einen Stadt- oder Landkreis.