Mahamat Saleh Tordjok lebt seit vielen Jahren im Asemwald. Seit August arbeitet er ehrenamtlich als Übersetzer beim Plieninger Freundeskreis für Flüchtlinge mit. Längst hilft er den Vertriebenen nicht mehr nur bei sprachlichen Problemen.

Asemwald - Mahamat Saleh Tordjok hat von seiner Asemwalder Wohnung im neunten Stock einen herrlichen Blick. Er sitzt in einem Sessel, vor ihm eine Tasse Tee und ein Teller mit Mohngebäck. Draußen rieseln die Flocken vom Himmel, und seine Frau dreht die Heizung im Wohnzimmer leicht auf. „Ich bin etwas empfindlich gegen Kälte“, sagt Tordjok. Manche Dinge ändern sich vielleicht nie. Tordjok ist im zentralafrikanischen Tschad geboren. 1977 ist er nach seiner Heirat mit einer Deutschen zunächst nach Birkach gezogen, später in den Asemwald.

 

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat der 75-Jährige mehr gewechselt als nur den Pass. Das verrät der festlich geschmückte Weihnachtsbaum in der Wohnung oder der Mohnkuchen, den seine Frau zum Tee serviert. Doch den Mann, der längst seinen Frieden gemacht hat mit Existenzfragen wie „Wer bist du?“ und „Wo gehörst du hin?“, hat 2014 in seiner geordneten Asemwalder Welt das Grausen gepackt. Die Nachrichten von Krieg, Terror und Massenvertreibungen berührten etwas in Mahamat Saleh Tordjok. Er sagt, er habe das zwingende Bedürfnis verspürt, etwas zu tun. „Ich komme von dort“, sagt er.

Tordjok nahm den Hörer in die Hand

Dieses „Dort“ ist ein ziemlich weit gefasster Begriff. Syrien, die Ukraine, Irak, Südsudan und andere Schauplätze des Grauens in diesem Jahr der Krisen haben mit dem Herkunftsland des Asemwalders kulturell zunächst nicht viel gemein. Das „Dort“ scheint sich viel mehr auf Befindlichkeiten zu beziehen, die Tordjok sehr wohl aus seinem Herkunftsland Tschad kennt: Krieg, ethnische Konflikte, Vertreibung. In der Zeitung hat der Rentner im vergangenen März gelesen, dass sich in Plieningen ein Freundeskreis gegründet hat, um die für den Sommer 2014 erwarteten Flüchtlinge in der neuen Unterkunft zu unterstützen. Tordjok hat den Telefonhörer in die Hand genommen und seine Hilfe angeboten. Im Tschad hat er Arabisch gelernt. Außerdem lebte Tordjok einige Jahre in Ägypten. Als dann die ersten neuen Bewohner ankamen, waren Tordjoks Sprachkenntnisse Gold wert. Denn ein bedeutender Teil stammt aus dem kriegszerstörten Syrien. Einige syrische Flüchtlinge können Englisch. Doch für alle ist es eine Herausforderung, sich in einem fremden Land mit unbekannten Regeln zurechtzufinden und dabei – wenn überhaupt – sich auf eine Sprache verlassen zu müssen, die sowohl für sie als auch für ihre deutschen Gesprächspartner eine Fremdsprache ist.

Tordjok ist seit dem vergangenen Sommer praktisch jeden Tag mit den Belangen der Flüchtlinge beschäftigt. Mehrmals in der Woche begleitet er sie zu Terminen beim Arzt oder im Jobcenter. Dann übersetzt er vom Arabischen ins Deutsche und umgekehrt. Längst ist er zudem Ansprechpartner für alle möglichen Nöte. Die Heimbewohner dürfen ihn auch anrufen. Denn allzu oft gibt es auch nach einem Termin noch Fragen, die zu klären sind.

Ein Vertrauter für die Vertriebenen

In der Asylunterkunft öffnen sich die Türen für den Asemwalder. Er wird oft eingeladen zu einem Tee oder Kaffee, was Tordjok manchmal beschämt. „Die Menschen haben doch so wenig“, sagt er. Längst gehen seine Gespräche mit den Flüchtlingen über praktische Fragen hinaus. Tordjok hört gern zu und ist den Menschen zugewandt. Nach einiger Zeit sprechen die Männer und Frauen im Heim die Dinge aus, die sie für sich behalten wollen, aber offenbar nicht können. Einmal habe ihm ein Syrer erzählt, dass er auf seiner Flucht über das Mittelmeer mit ansehen musste, wie andere aus einem gekenterten Boot ertrunken sind, sagt Tordjok. „Das nimmt man dann mit sich nach Hause“, sagt der Asemwalder. Das sei nicht leicht, fügt er hinzu, aber sein Optimismus hilft ihm wohl. Tordjok glaubt, dass die Vertriebenen ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten können, wenn ihr Leben nach der Flucht in der neuen Heimat gut verläuft.

Tordjok will dazu einen Beitrag leisten, indem er den Angekommenen erklärt, wie die deutsche Gesellschaft funktioniert. Weil er selbst erst Deutscher werden musste, ist seine Perspektive für die Heimbewohner interessant. Tordjok macht sie auf die Feinheiten der deutschen Alltagskultur aufmerksam. Sie würden darüber entscheiden, wie ein Ausländer wahrgenommen wird, sagt er. In erster Linie rate er zu Pünktlichkeit, betont Tordjok. An dem Klischee scheint also etwas dran zu sein.

Tordjok sagt, dass er zu den zahlreichen Ängsten, die das Flüchtlingsleben mit sich bringt, keine neuen hinzufügen will. Über Ausländerfeindlichkeit in Deutschland redet er mit den Heimbewohnern nicht. Er macht auch im Gespräch nur Andeutungen, dass er mit seiner dunklen Hautfarbe in Stuttgart nicht nur freundlichen Menschen begegnet ist. Tordjok scheint sich aber versöhnt zu haben mit den Erlebnissen von Zurückweisung und Anfeindung. „Es hat sich so viel verändert in Deutschland“, sagt er. Der Satz fasst zusammen, was er über das heutige Deutschland denkt: Das Land hat sich geöffnet, und nun ist es auch sein Land. Den Flüchtlingen ist er nicht zuletzt auch Beispiel und Hoffnung, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte.