Seit hundert Tagen ist Asylpfarrer Joachim Schlecht im Amt. Er betreut seelsorgerisch Flüchtlinge aus aller Welt – stellt aber auch klare, politische Forderungen.

Stuttgart - An Aufgaben und Herausforderungen mangelt es Joachim Schlecht sicher nicht. Seit hundert Tagen ist der 53-jährige Theologe und Klinikseelsorger Asylpfarrer des Kirchenkreises Stuttgart und landeskirchlicher Beauftragter für Asyl und Migration. Er ist damit in die Fußstapfen von Werner Baumgarten getreten, der zuvor seit 1991 das Asylpfarramt leitete und maßgeblich geprägt hat.

 

Schlecht hat zuvor als Seelsorger im Krankenhaus Bad Cannstatt im Zentrum für seelische Gesundheit gearbeitet. Die Seelsorge ist auch in seiner neuen Funktion wichtiger Bestandteil. In seiner Sprechstunde empfängt der Pfarrer Flüchtlinge aus aller Welt, viele sind traumatisiert von ihren Erlebnissen in der Heimat und auf ihrer Flucht. Die Religion, ob Muslim oder Christ, spielt in den Sprechstunden keine Rolle. Manche Hilfesuchende seien unmittelbar von der Abschiebung bedroht, andere hätten gute Chancen bleiben zu dürfen, allerdings auch viele Fragen hinsichtlich immer neu entstehender Regelungen in der Flüchtlingspolitik.

„Ich begegne in den Gesprächen großer Angst“, sagt Schlecht. Er erzählt von einem Ehepaar, dessen Sohn nach anderthalb Jahren in Deutschland eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen habe. Inzwischen sei die Familie abgeschoben worden. Schicksale, die er am Ende nur noch seelsorgerisch betreuen kann. Anderen vermittelt er Anwälte, ärztliche Untersuchungen und sonstige benötigte praktische Hilfen. Viele, die er trifft, kämen mit falschen Vorstellungen ins Land, nicht selten vermittelt von ihren Schleppern. Die Enttäuschung sei am Ende entsprechend groß, wenn sich die Geflohenen in überfüllten Erstaufnahmestellen wiederfänden.

Schlecht formuliert klare Forderungen

Auch wenn sich Schlecht weniger politisch positionieren möchte als sein Vorgänger Baumgarten, so formuliert auch er klare Vorstellungen und Forderungen. Er versteht sich als kritische Stimme, die auf wunde Punkte der Asylpolitik hinweist. „Wir müssen die Einzelfälle betrachten. Nicht jeder, der aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland geflohenen ist, ist dort wirklich sicher“, sagt er. Von einer Trennung zwischen guten und schlechten Flüchtlingen, zwischen solchen, die vor Bomben und solchen, die vor Hunger und extremer Diskriminierung geflohen sind, halte er nichts. Ganz konkret plädiert er für einen Abschiebestopp in den Kosovo während der Wintermonate. „Die Menschen kommen zurück in zerstörte Häuser ohne Heizung“, sagt er. Eine weitere Forderung: eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels für Flüchtlinge. Derzeit ist dieser mit 1:136 knapp bemessen.

Schlecht agiert aber nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Multiplikator und Moderator zwischen den verschiedenen ehrenamtlichen Freundeskreisen der Landeskirche, Diakonie und staatlichen Stellen. „Die hohen Flüchtlingszahlen sind zwar eine Herausforderung – sie mobiliseren gleichzeitig aber auch große Kräfte“, sagt er. Das ehrenamtliche Engagement im Land blühe. Überall dort, wo neue Flüchtlingsunterkünfte entstehen, bilden sich auch neue Freundeskreise. Ein wichtiger Faktor, sagt Schlecht, gegen all jene, die für die vermeintliche Rettung des christlichen Abendlandes auf die Straße gehen. „Das ist eine erschreckende Entwicklung. Diese Menschen haben nicht verstanden, dass Flüchtlinge keine Gefahr und Überlastung, sondern einen Segen darstellen“, sagt der gebürtige Herrenberger. Auch das ist eine Aufgabe, die Schlecht übernommen hat: Freundeskreise schulen und vernetzen. Der schon lange bestehende AK Asyl mit seinen erfahrenen Ehrenamtlichen spielt dabei eine große Rolle.

Menschen müssen geschützt werden

Eine Obergrenze sei lange noch nicht erreicht: „Wir haben die Chance, Menschen hier zu schützen, diese sollten wir wahrnehmen“, sagt er. Schlecht ist froh, die Herausforderung vor hundert Tagen übernommen zu haben und nun aktiv mitwirken zu können. Auch wenn er noch einige Zeit brauchen wird, einen Mittelweg zwischen der politischen und manchmal provokativen Ausrichtung seines Vorgängers und seinem eigenen seelsorgerischen Hintergrund zu finden. „Mein Sohn meint, ich könnte noch forscher sein“, sagt er lachend.

Das Amt des Asylpfarrers betrachtet er als Privileg. „Ich begegne in meiner täglichen Arbeit tollen Menschen“, sagt er. Unter den Geflohenen sowie unter deren Helfern. Die Vielfalt, die Geschichten und Begegnungen seien das, was er an der Arbeit besonders schätze. „Das ist genau das Leben, das zu mir passt.“