Er ist als ehrenamtlicher Berater tätig, er war zu Gast in Schloss Bellevue beim Bürgerfest des Bundespräsidenten: Der Fall des Afghanen Pouya zeigt, dass auch gut Integrierte zurückgeschickt werden.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Frankfurt - Eigentlich ist „Der Laden“ ein Ort der Hoffnung. Aber am Montag fließen hier Abschiedstränen. In der Beratungsstelle der IG Metall für Geflüchtete, mitten in der Frankfurter City gelegen, arbeitet Ahmad Shakib Pouya seit Jahresanfang als ehrenamtlicher Berater. Ginge es nach der IG Metall und Pouya selbst, würde der junge Afghane längst zum Team gehören – mit offiziellem Arbeitsvertrag. Dann würde Pouya finanziell auf eigenen Füßen stehen und sogar Steuern zahlen.

 

Der 33-Jährige ist ein Multitalent. Neben seinem Fulltime-Beraterjob ist er auch noch Musiker und Schauspieler und im ganzen Land unterwegs. Er war zu Gast in Schloss Bellevue beim Bürgerfest von Bundespräsident Joachim Gauck. Er stand und steht bei den Opernprojekten des Vereins „Zuflucht Kultur“ der Stuttgarter Mezzosopranistin Cornelia Lanz auf der Bühne, ist mit dem Flüchtlingschor in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ aufgetreten, war Talkshowgast bei Markus Lanz und hat mit dem Bundespolizeiorchester gespielt. Er gehörte zu den Männern der ersten Stunde beim Augsburger Integrationsprojekt „Grandhotel Cosmopolis“. Weil er mit Persisch, Deutsch, Englisch, Hindi, Paschdu, Dari und Urdu gleich mehrere Sprachen spricht, gilt er als idealer Brückenbauer zwischen den Kulturen. Auch als Dolmetscher in den Gerichten rund um Augsburg. Kurz: Ahmad Shakib Pouya ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration, ein maximalintegrierter Vorzeigeflüchtling. Doch all das soll nun bedeutungslos sein. Als hätte es die vergangenen fünfeinhalb Jahre nicht gegeben, als würde Pouya nicht alle Forderungen der Gesellschaft erfüllen, die sie an Flüchtlinge stellt.

In der Beratungsstelle ist die Stimmung gedrückt

Denn wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Pouya am Donnerstag ein Flugzeug besteigen, das ihn zurück nach Kabul bringt. Durch seine freiwillige Ausreise nach Afghanistan, das Land, in dem er von den Taliban mit dem Tod bedroht wird, will er seiner Abschiebung zuvorkommen. Nur so hat er die Chance, irgendwann wieder nach Deutschland reisen zu können, wo seine Frau mit den beiden Kindern lebt. Und so ist Pouya nicht nur der lebende Beweis für das abrupte Ende einer eigentlich geglückten Integrationsgeschichte. Sein Fall straft auch die Lügen, die glauben, nur Asylbewerber, die straffällig geworden sind, würden nun abgeschoben. „Ich bin nicht einmal schwarz gefahren in den letzten Jahren“, sagt Pouya verzweifelt.

In der Beratungsstelle „Der Laden“ ist die Stimmung am Montag gedrückt. Pouyas Freunde sind gekommen, um ihm „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Seinen Klienten hat Pouya immer gesagt, „dass man manchmal einfach etwas Geduld braucht“ in diesem neuen Leben in Deutschland. Aber nun ist er mit seiner Geduld am Ende und braucht selbst Trost. Die Hoffnung auf ein Bleiben schwindet. Tiefe Augenringe verraten, dass der 33-Jährige seit Tagen nicht mehr zu Ruhe kommt und kaum schläft. Seine Hände zittern. Er hat Todesangst. Aus seiner Abneigung gegen die afghanische Regierung hat er nie einen Hehl gemacht. Er hat regimefeindliche Lieder komponiert und über das Internet verbreitet. Er mag dem Diktum Thomas Strobls, des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden, nicht glauben, dass es in Afghanistan auch sichere Gegenden gebe.

Pouyas Asylantrag, den er im Mai 2011 gestellt hat, wurde bereits im Mai 2012 abgelehnt. Er bekam jedoch eine Duldung, die ihn vor der Abschiebung bewahrte. Seit die Politik sich jedoch darauf verständigt hat, Afghanistan als sicheres Herkunftsland einzustufen, ist auch die nicht mehr gültig. Vergangene Woche stand Pouya auf derListe der ersten Sammelabschiebungen nach Afghanistan. Mit der Abschiebung von 34 abgelehnten Asylbewerbern wollte die Politik ein Zeichen setzen – wohl in der Hoffnung, die Volksseele nach dem wahrscheinlich von einem jungen Afghanen begangenen Tötungsdelikt von Freiburg zu beruhigen. Nur weil die Polizeibeamten Pouya nicht in seiner Wohnung antrafen, entging er seiner Abschiebung.

Pouya hat Angst vor einer Rückkehr nach Afghanistan

Warum Pouya auf der Liste stand, vermag Willfried Mück, Verwaltungsdirektor der Caritas Bayern und Vorsitzender der bayrischen Härtefallkommission, nicht zu sagen. Erst vor fünf Wochen sei der Fall bei der Kommission eingereicht worden. „Ich werde heute noch mit dem Innenministerium Kontakt aufnehmen, dass wir uns den Fall noch einmal anschauen“, sagt Mück. Das heiße aber nicht, dass er auf die Tagesordnung komme, schränkt er ein. Geschieht das, geht es jedoch nicht um die „Fortsetzung des Asylverfahrens mit anderen Mittel“, wie die Kommission ihr Tun selbst erklärt, sondern um die Prüfung humanitärer Abschiebungshindernisse. Chance auf Prüfung hat nur, wer nicht nur bestens integriert ist, sondern auch noch Arbeit hat und für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen kann und etwa durch eine Ehe gebunden ist.

All das wäre bei Pouya der Fall, wäre sein Pass nicht vor der standesamtlichen Trauung auf dem Weg zur Ausländerbehörde Augsburg verloren gegangen. Die Politik hat offenbar nicht die Geduld, ein mögliches Votum der Härtefallkommission abzuwarten. Auch wenn es darauf keinen Rechtsanspruch gibt. So könnte Pouya nur die Möglichkeit bleiben, wenn ihm ein Bleiberecht eingeräumt wird, nach seiner Ausreise wieder nach Deutschland zurückzukehren. Eine Vorgehensweise, die für Pouya lebensgefährlich sein kann. „Ich kann nicht in Afghanistan bleiben“, sagt er. Viel zu bekannt sei er mit seinen politischen Liedern gegen die Taliban und den Islamischen Staat. Stoppen kann seine Abschiebung nur noch der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der ohnehin als letzte Instanz darüber entscheidet, ob er den Empfehlungen der Härtefallkommission folgen will. Dessen Sprecher sagte am Montag, Herrmann wolle sich zu dem konkreten Fall nicht äußern.

Nach der Explosion in Herat floh Pouya

Pouyas Geschichte in Deutschland begann im Mai 2011. Da kam er, nachdem er zwei Jahre unterwegs gewesen war, in Bayern an. Ein Sprengsatz, der in seiner Wohnung in seiner Heimatstadt Herat explodiert war, hatte ihm deutlich vor Augen geführt, dass er in Afghanistan in Lebensgefahr war. Sein Vater hatte aufgrund der Explosion einen Herzinfarkt erlitten, an dessen Folgen er starb.

Gleich in mehrfacher Hinsicht passte Pouya nicht ins Welt- und Gesellschaftsbild der Taliban. Er hatte eine zahnmedizinische Ausbildung absolviert und arbeitete seit 2007 als Krankenpfleger in einer Klinik für Verbrennungsopfer, die von der französischen Hilfsorganisation Humaniterra International betrieben wird. Seine Chefin in der Klinik attestierte ihm große Kompetenz und Respekt gegenüber den Kranken. Weil er bei einem nicht-muslimischen Arbeitgeber angestellt war und Frauen und Männer gleichermaßen pflegte, wurde er jedoch bedroht. Dass er zudem noch Musik machte und sich nicht einschüchtern ließ, brachte ihn immer stärker ins Visier der Taliban. Nach der Explosion in Herat floh Pouya. Sein Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt. „Ich habe keine Papiere der Taliban verlegen können, dass sie mich bedroht haben“, sagt Pouya .

Pouyas Duldung geht jetzt noch bis zum 7. Januar

In Deutschland war die Ausländerbehörde Augsburg für Pouya zuständig. Sie übergab den Fall im September 2016 an die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben, die allein für Rückführungen abgelehnter Asylbewerber zuständig ist. Pouyas Duldung geht jetzt noch bis zum 7. Januar.

Bisher hat er sich trotz aller Unsicherheit nicht entmutigen lassen und engagiert sich in vielen Bereichen. Der Kontakt zur IG Metall in Frankfurt etwa kam durch Bianka Huber, deren Kulturbeauftragte, zustande. Sie hatte den Flüchtlingschor von Cornelia Lanz eingeladen und entwickelte mit Pouya zusammen die Idee für die Beratungsstelle. „Er ist mein wichtigster Mitarbeiter“, sagt sie. „Ich wüsste nicht, wie ich ihn ersetzen sollte.“ Jürgen Kerner vom IG-Metall-Vorstand sagt: „Wir können nicht nachvollziehen, dass die Entscheidung der Härtefallkommission nicht abgewartet wird.“

Cornelia Lanz bittet den Münchner OB um Hilfe

In München sollte Pouya am 11. Januar im neusten Projekt von „Zuflucht Kultur“, der Neuinszenierung von Mozarts unvollendeter Oper „Zaide“, in der Alten Kongresshalle auf der Bühne stehen. Schirmherr ist der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter. „Wir müssen Sie bitten, Ihre Schirmherrschaft wörtlich zu nehmen“, appelliert Cornelia Lanz für „Zuflucht Kultur“ an Reiter – und hofft darauf, dass er Innenminister Herrmann dazu bewegen kann, Pouya Bleiberecht zu gewähren.

Nach dem Konzert mit dem Bundespolizeiorchester sagte Pouya, in Deutschland habe er gelernt, keine Angst vor der Polizei haben zu müssen. Dem Bundespräsidenten sagte er, wie gerne er in Deutschland Steuern zahlen würde. Bis jetzt mag das Land die ausgestreckten Hände Pouyas nicht ergreifen. In „Zaide“ singt er den Satz „Schlaf ist ein fremdes Wort für mich“. Es scheint sein Abschiedslied zu werden.