Die Regierungsparteien CDU und CSU sinken wegen des offen ausgetragenen Asylstreits in der Wählergunst – ganz im Gegensatz zur AfD. Und deren Politiker können ihre Freude kaum verbergen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Horst Seehofer habe sich gründlich verrechnet. Diese Ansicht vertritt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Der Bundesinnenminister „stärkt gerade die Partei, die er im Hinblick auf die bayerische Landtagswahl eigentlich schwächen will“. Die aktuellen Umfragen stützen diese Aussage. Sie zeigen, dass der Streit zwischen CSU und CDU auch der CSU schadet, die wegen der Landtagswahl in Bayern im Herbst unter massivem Druck steht. Sie kommt in der Umfrage im Freistaat nur noch auf 36 Prozent. Dafür gibt es einen klaren Profiteur der Zerrüttung innerhalb der Union: die AfD. Sie verbesserte sich im Laufe der Woche von 13 auf 15 Prozent. Es ist ihr höchster Wert seit der Bundestagswahl.

 

Die AfD kann die Freude kaum verbergen

Die AfD selbst kann ihre Freude über den Streit in der Union kaum verbergen. „Entweder Seehofer verliert, oder es verliert Merkel“, sagte Parteivize Georg Pazderski. Für die AfD sei der ganze Streit dagegen „ein Geschenk“, so der Politiker weiter. Seehofer habe jetzt im Prinzip keine andere Wahl als „das, was er angekündigt hat, auch durchzusetzen“, erklärte Pazderski, der in Berlin AfD-Landes- und Fraktionschef ist. Der Innenminister bekomme zurzeit von allen Seiten Druck, von der Kanzlerin und von seinen Parteikollegen in Bayern, die mit Sorge auf die bayerische Landtagswahl blickten. Seehofers Idee, Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert seien, an den Grenzen abzuweisen, bezeichnete Pazderski als „Schritt in die richtige Richtung“. Der zweite Schritt müsse sein, „alle diejenigen abzuschieben, die hier kein Bleiberecht haben“. Der AfD-Politiker versucht aber zu vermitteln, dass nur mit seiner Partei das Thema wirklich angegangen werden könnte. Er sei, erklärt Pazderski, überzeugt, dass es am Ende auf „einen faulen Kompromiss“ hinauslaufen werde. Lars Patrick Berg, AfD-Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg, fragt sich, ob es sich bei dem Streit um eine bloße politische Schauveranstaltung der beiden Parteien handle. CDU und CSU fehle am Ende der Mut, die gemachten Fehler in der Flüchtlingspolitik einzugestehen. „Mutlosigkeit ist vielleicht das letzte Bindeglied zwischen CSU und Merkel“, sagt Berg.

Warnungen kommen aus den eigenen Reihen

Die Warnung an CDU und CSU, dass der Streit vor allem der AfD Wählerstimmen bringt, kommt längst aus den eigenen Reihen. Der Europaparlamentarier Elmar Brok hofft auf einen Kompromiss. „Ich hoffe, dass Vernunft einkehrt“, sagt er. Wenn die Gemeinschaft der beiden Parteien auseinanderbräche, wäre das für die CDU „ein richtiges Problem“. Der Gewinner einer solchen Entwicklung wäre allein die AfD. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) fordert Seehofer zur Mäßigung auf und bezeichnet den Streit als Inszenierung, die gedacht sei für den bayrischen Landtagswahlkampf. „Dieser Streit macht aber die AfD stärker als die CSU“, warnt auch der SPD-Mann.

Der Diskurs spiegelt nicht die Realität

Kommunikationsexperte Brettschneider ist der Überzeugung, dass der politische Diskurs gerade nicht die Realität widerspiegelt. „Das Flüchtlingsthema wird durch den massiven Streit zwischen Merkel und Seehofer völlig überhöht. Das Thema erscheint als sehr viel problematischer, als es in Wirklichkeit ist“, sagt er. Die Zahl der ankommenden Migranten habe sich seit 2015 dramatisch reduziert, aber noch immer werde in der Politik lautstark darüber gestritten. Auch das sei ein Grund, weshalb die AfD von dem Streit zwischen Merkel und Seehofer profitiere, die sich vor allem über das Thema Flüchtlinge profiliere.

Seehofer kopiert die AfD

Brettschneider konstatiert, dass Seehofer zwei weitere Punkte der AfD-Agenda übernommen habe. Zum einen habe er sich die Forderung „Merkel muss weg“ zu eigen und damit auch ein Stück weit hoffähig gemacht. „Das ist eine der Säulen der AfD“, erklärt der Kommunikationswissenschaftler. Zum anderen sei auch die Erzählung von „rechtsfreien Räumen“ in Deutschland und dass das Gesetz nicht mehr gelte, klar von den Rechtspopulisten besetzt – und werde von Innenminister Seehofer kopiert. Der Professor hält es allerdings für den falschen Weg, die Parteien am rechten Rand mit deren eigenen Parolen schlagen zu wollen. Am Ende würden sich die Wähler an der Urne eher für das Original entscheiden – und das sei in diesem Fall die AfD.