Im Streit von CDU und CSU um die Ausrichtung der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa hat Bundesinnenminister Horst Seehofer am Abend seinen Rücktritt von allen Ämtern angeboten.

München/Berlin - Als Konsequenz aus dem erbitterten Asylstreit mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer seine beiden Ämter aufgeben. Das kündigte er am späten Sonntagabend in einer CSU-Vorstandssitzung in München an, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Die engste Parteispitze will ihn nach dpa-Informationen allerdings von diesem Schritt abhalten und zum Weitermachen bewegen. Dazu wurde die Sitzung unterbrochen, die engste Parteispitze zog sich mit Seehofer zu Beratungen zurück.

 

Seehofer sagte nach fast achtstündigen Beratungen laut Teilnehmern, es gebe drei Optionen: Entweder die CSU beuge sich dem Kurs von Merkel in der Asylpolitik. Oder er ordne als Innenminister die Zurückweisung bestimmter Migranten an der deutschen Grenze an - mit allen damit verbundenen Gefahren für den Fortbestand der Koalition. Und die dritte Option sei, dass er als Parteichef und Minister zurücktrete - und das habe er auch vor zu tun. Er werde am kommenden Mittwoch 69 Jahre alt, und er habe viel erreicht.

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CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt widersprach daraufhin umgehend. „Das ist eine Entscheidung, die ich so nicht akzeptieren kann“, sagte er nach Angaben von Teilnehmern in der Sitzung des CSU-Vorstands. Dobrindt habe dafür lang anhaltenden Applaus erhalten, hieß es. Letztlich habe die Uneinsichtigkeit der Kanzlerin die CSU in die jetzige Situation gebracht. Wie lange die seit fast acht Stunden andauernde Gremiensitzung pausieren würde, war zunächst unklar.

CSU diskutiert stundenlang über Asylstreit

Der CSU-Vorstand hatte seit dem Nachmittag über die Konsequenzen der CSU aus dem Asylstreit mit der CDU diskutiert. Dabei hatten Seehofer und seine Parteifreunde sich mehrheitlich gegen die Beschlüsse des EU-Gipfels und für einen nationalen Alleingang ausgesprochen - was Merkel vehement ablehnt.

Seehofer ist erst seit rund 100 Tagen in der neuen großen Koalition Bundesinnenminister, seit 2008 ist er CSU-Vorsitzender.

Die CDU hat unmittelbar nach der Nachricht von der Rückzugsankündigung die Unterstützung für den europäischen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Asylpolitik betont. „Einseitige Zurückweisungen wären unserer Ansicht nach das falsche Signal an unsere europäischen Gesprächspartner“, sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am späten Sonntagabend in Berlin, ohne auf die Nachricht vom angekündigten Rückzug Seehofers einzugehen.

CDU stärkt Angela Merkel den Rücken

Die getroffenen Beschlüsse, Vereinbarungen und Abkommen böten eine gute Grundlage zur wirksamen Reduktion der Sekundärmigration. Die Verhandlungen müssten zügig fortgesetzt werden, sagte Kramp-Karrenbauer. Der CDU-Vorstand habe bei einer Enthaltung beschlossen, dass es Ziel der CDU sei, die Zuwanderung besser zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen. Darin sei man sich mit der CSU einig. Kramp-Karrenbauer sagte, es brauche wirksame und menschliche Lösungen mit europäischen Partnern in der Asylpolitik.

Gemeinsam mit den EU-Institutionen, abgestimmt mit den europäischen Partnern sowie auf Grundlage des „Masterplans“ des Bundesinnenministers und möglicher weitere Koalitionsbeschlüsse werde die CDU die Arbeit an einem Pakt „zur Steuerung und Ordnung der Zuwanderung und konsequenter Integration“ fortsetzen.

CSU verschärft Konfrontation noch einmal

Die CSU hatte die Konfrontation mit Merkel im Asylstreit nochmals verschärft. Seehofer hatte deren Verhandlungsergebnisse beim EU-Gipfel sehr kritisch bewertet. Sie seien nicht wirkungsgleich mit den von der CSU verlangten Zurückweisungen an der deutschen Grenze, sagte er in der Vorstandssitzung in München, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Bis zum Abend blieb ungewiss, was die erneute Eskalation für den Bestand der Koalition bedeuten könnte.

Kern des Unions-Streits sind Pläne Seehofers, in anderen EU-Ländern registrierte Asylbewerber notfalls im Alleingang an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Merkel lehnt einseitige Aktionen ab und pocht auf ein europäisch abgestimmtes Vorgehen. Beim Gipfel in Brüssel hatte sich die EU auf weitere Verschärfungen der Migrationspolitik verständigt. Für Seehofer sind die beim EU-Gipfel erzielten Einigungen eine unzureichende Alternative, wie er im Vorstand nach Teilnehmerangaben erklärte. Deutschland würde sich nur zusätzliche Probleme einhandeln. Es sei noch zu früh, von einem Erfolg zu sprechen. „Es ist noch viel zu tun“, betonte Seehofer.

Kramp-Karrenbauer kündigte an, dass sich Kanzlerin Merkel nach einer erneuten Sitzung des CDU-Bundesvorstands am Abend selbst noch äußern wolle.