Wer Asyltourismus sagt, der löst kein Problem. Er dehumanisiert diejenigen in Not. Am Ort des Grauens lässt sich diese Erkenntnis gewinnen, sagt unsere Kolumnistin Katja Bauer. Auf eine komplexe Problemlage gäbe es meistens keine einfache Antwort.

Stuttgart - Kürzlich war ich in Israel, das dortige Außenministerium wollte einigen Journalisten die aktuelle Sicherheitslage erklären. Unter anderen geschah das an der Grenze zu Syrien im Norden. Eine schmale Straße führt hier in Haarnadelkurven hinauf zum Berg Bental auf den Höhen des Golan – ein seltsamer, ein trauriger Ort.

 

Wer auf dem Busparkplatz aussteigt, der muss nur ein paar Schritte gehen, dann kann er hier zwischen ausrangierten Maschinengewehren in der Pizzeria Mozzarella einkehren oder am Stand eines Imkers ein Gläschen mit Bergblütenhonig kaufen. Jugendliche albern zwischen verlassenen Bunkern und Schützengräben. Israelische Schulklassen kommen zum Pflichtbesuch. Hier siegte die Arme im Yom-Kippur-Krieg 1973 über Syrien.

An der Spitze des Berges sitzen zwei Soldaten unter dem sandfarbenen Segeltuchdach eines Ausgucks. Ihre Beine haben sie hochgelegt, posieren für Selfies mit Besuchern. Über ihnen weht eine ausgebleichte UN-Flagge. Sie gehören zu der UN-Mission, die die demilitarisierte Zone zwischen Syrien und Israel überwacht.

Die syrische Grenze mit eigenen Augen sehen

Mit bloßem Auge kann man die syrische Grenze erkennen, die Geisterstadt Quneitra mit ihren zerschossenen Fassaden, eine Straße, viel ödes Land. Seit einiger Zeit ist das von verschiedenen Rebellengruppen gehaltene Areal in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Nicht allein, weil Assads Regime die Provinzen wieder unter seine Kontrolle bringen will – hier wachsen der Einfluss und die Präsenz iranischer Truppen. Seit im Mai Iran aus Sicht Israels Raketen von Syrien aus abgefeuert hat und Israel daraufhin Stellungen bombardierte, ist die Gefahr eines riesigen, neuen Konflikts noch gewachsen. Die USA haben in diesen Tagen Russland zum Handeln aufgefordert.

Oben auf dem Berg hat das Fernglas, mit dem man nach unten blicken kann, einen Schlitz für Kreditkarten aus aller Welt. Das Beste an diesem absurden Ort ist wohl, zu denen zu gehören, die oben auf dem Berg stehen können und nicht unten im Tal leben müssen. Denn dort wird gelitten und gestorben, und die Menschen flüchten aus ihrem Zuhause, um zu überleben.

Hier könnte Söder eine Erkenntnis gewinnen

Oben in der friedlichen Welt kann man aber eine Sache gut begreifen: dass aus der Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden denen eine Verantwortung erwächst, die im Frieden leben. Ahmad, ein 14-jähriger Syrer aus einem Dorf im Tal, liegt seit Wochen im israelischen Krankenhaus Ziev. Eine Bombe hat ihm die obere Hälfte seines rechten Oberschenkelknochens zerbröselt. Wo er lebt, gibt es nicht genügend Ärzte, es gibt auch kein Krankenhaus. Die israelische Armee hat einen kleinen Grenzverkehr gefunden, um auf ziemlich verschlungenen Wegen einzelnen Zivilisten zu helfen. Betrachtet man das große Ganze, ist das Projekt ein Tropfen auf den heißen Stein, und es verschönert natürlich auch das Image der Armee. Aber am Bett des Jungen steht Ahmads Mutter – mitten im Land der Gegner, mit denen Syrien seit 45 Jahren keinen Frieden hat. Eine Sache, die eigentlich nicht geht. Ihre Gegenwart ist eine schlichte Antwort auf die Frage, was man Menschen in einer verzweifelten Lage unterstellen sollte: nämlich, dass sie Hilfe suchen.

Vielleicht sollte Markus Söder einmal herkommen. Er könnte diese Erkenntnis hier zurückgewinnen, genau wie die, dass es auf eine komplexe Problemlage meistens eben keine einfache Antwort gibt. Auch an die Grundzüge von Scham und menschlichem Anstand könnte er sich hier erinnern – beides stellt er ja derzeit hintan, um eine Wahl zu gewinnen, und noch ist gar nicht absehbar, wie viel er damit am Ende zerstört haben wird. Sicher ist aber schon jetzt, dass er mit seiner Wortwahl vom Asyltourismus dazu beiträgt, all jene zu dehumanisieren, die Konflikten zu entrinnen versuchen.

Vorschau
Am 3. Juli schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger .