Nach dem Ausstieg Washingtons vor einem Jahr will jetzt auch Teheran das Atomabkommen von 2015 Schritt für Schritt aufkündigen.

Tunis - Es ist eine Strategie der kalkulierten Eskalation. Nach dem Ausstieg Washingtons vor einem Jahr will jetzt auch Teheran das Atomabkommen von 2015 Schritt für Schritt aufkündigen. Vor einer Woche überschritt die Islamische Republik bei den Uranvorräten die maximal vereinbarten 300 Kilogramm. Am Sonntag setzte das Land nun auch die Schwelle von 3,67 Prozent bei der radioaktiven Anreicherung außer Kraft.

 

Man wolle die Atomvereinbarung nach wie vor retten und betrachte sie weiterhin als „gültiges Dokument“, versicherte der stellvertretende Außenminister Abbas Araqchi in Teheran. Gleichzeitig jedoch kündigte er an, der Iran werde künftig alle 60 Tage weitere Teile des Vertrags annullieren, falls die Sanktionen nicht gelockert würden. Diese beiden ersten Vertragsverletzungen durch Iran sind aus diesem Grund eher moderat kalibriert, um die Tür für eine diplomatische Lösung der Krise nicht zuzuschlagen. Nach Aussagen von Präsident Hassan Ruhani könnten alle Verstöße binnen Stunden rückgängig gemacht werden, wenn im Gegenzug das Wirtschaftsembargo beendet werde.

Europa ist besorgt

Nach Angaben der iranischen Atombehörde soll die Anreicherung von Uran zunächst von 3,67 auf etwa fünf Prozent gesteigert werden, wie für die Brennstäbe des Reaktors in Bushehr erforderlich. Für den Forschungsreaktor in Teheran wäre ein Niveau von 20 Prozent notwendig, für den Bau einer Atombombe 90 Prozent.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien äußerten sich über die Entwicklung „äußerst besorgt“. Ein Sprecher in Berlin appellierte an den Iran, „keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen, die die Nuklearvereinbarung weiter aushöhlen“. Präsident Emmanuel Macron verabredete in einem Telefonat mit Ruhani, bis zum 15. Juli neue Möglichkeiten „für die Aufnahme des Dialogs zwischen beiden Seiten auszuloten“.

Teherans Führung jedoch kritisiert die Haltung der Europäer in dem Konflikt mit den USA als unzureichend und undurchsichtig. Als Beleg dafür wertet das Regime unter anderem einen Zwischenfall im Mittelmeer, als vergangene Woche britische Marinekräfte einen iranischen Supertanker beschlagnahmten, der Rohöl für Syrien geladen haben soll. Nach Auskunft des spanischen Außenministers Josep Borrell erfolgte die Kommandoaktion vor Gibraltar auf Drängen der Vereinigten Staaten. Präsident Donald Trump hatte sich in den letzten Wochen gegenüber dem Iran immer wieder abwechselnd gesprächsbereit und kriegerisch gegeben.

Iran will Öl verkaufen

Mit der amerikanischen Sanktionsstrategie des „maximalen Druck“ und dem jüngsten iranischen Uran-Poker trüben sich die Perspektiven für den Atomvertrag immer weiter ein. Für Mittwoch beantragten die USA eine Sondersitzung der UN-Atomenergiebehörde IAEO, um die Verletzung des Abkommens durch den Iran offiziell feststellen zu lassen. Die Entwicklung sei „besorgniserregend“ und die internationale Gemeinschaft müsse das iranische Regime zur Verantwortung ziehen, hieß es in der Begründung.

Bei einem Treffen Irans mit den übrigen fünf Signaturmächten vorletzte Woche in Wien betonten die Vertreter Teherans, man wolle vor allem das eigene Öl wieder auf dem Weltmarkt verkaufen dürfen. Die Wirkung der US-Sanktionen ist auch deshalb so verheerend für die persische Volkswirtschaft, weil Washington sämtliche Firmen und Banken in Drittstaaten mit Strafen bedroht, die mit dem Iran Geschäfte machen.

Im Gegenzug etablierte die Europäische Union die sogenannte Zweckgesellschaft Instex, die bisher jedoch keine nennenswerte Wirkung entfaltet. Instex soll wie eine Art Tauschbörse funktionieren, bei der iranisches Öl gegen europäische Güter wie Nahrungsmittel, Medikamente und wichtige Konsumgüter gehandelt wird, ohne dass Geld die Seiten wechselt.